Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
bewerfen uns gegenseitig mit Popcorn. So geht das immer wieder hin und her. Jedes Mal, wenn ein Atmer getötet wird, applaudieren wir, und bei jedem Zombie, der abgeschlachtet wird, wird gebuht. Doch immer wenn die Zombies essen, herrscht Stille.
Bereits zu Lebzeiten habe ich Die Nacht der lebenden Toten einige Male gesehen, seit dem College allerdings nicht
mehr. Ich habe den Film nie wirklich ernst genommen. Doch diesmal bin ich begeistert. Nicht, was die filmischen Aspekte betrifft - Handlungsaufbau, Geschichte, Regie und den ganzen formalen Scheiß. Ich meine das mehr in einem spirituellen Sinn.
Es ist ein Moment der Klarheit.
Eine Offenbarung, was meine eigene Existenz betrifft.
Und ich glaube, ich bin nicht der Einzige, dem es so geht.
Auch wenn es fraglich ist, dass ich oder sonst jemand, der laut Gesetz als Untoter eingestuft wird, je den Status als Lebender zurückerlangen wird, heißt das nicht, dass unser einziges Ziel darin besteht, unseren Körper frei von Maden zu halten.
Das Ziel eines jeden Untoten ist es, ein Atmer zu sein. Das, was wir einst waren und was wir gerne wieder wären. Doch in einer Welt, die uns als nicht menschlich betrachtet, gibt es nicht die geringste Hoffnung, wieder ein Mensch zu werden. Gibt es niemanden, der uns erlöst. Man hat uns aufgegeben - die Gesellschaft, die Freunde, die Familie. Also müssen wir eine Möglichkeit finden, uns selbst zu erlösen.
Das Leben eines jeden Menschen hält prägende Momente bereit, einige bedeutsamer als andere:
Neil Armstrongs erster Schritt für die Menschheit. Bobby Thompsons legendärer Homerun gegen die Brooklyn Dodgers.
Rosa Parks, die sich weigerte, in einem Bus für einen Weißen ihren Platz zu räumen.
Jeder von ihnen hat die Chance, die sich ihm bot, ergriffen und in eine Tat verwandelt, die eine bestimmte Suche zum Ausdruck brachte. Einen Triumph. Einen Traum.
Früher oder später hat jeder so einen Moment. Einige lassen ihn unbemerkt oder ungenutzt verstreichen. Und andere erleben ihn, während sie einen billigen Schwarz-Weiß-Horrorfilm aus dem Jahr 1968 schauen.
Dies ist unser Moment. Unser Augenblick.
KAPITEL 44
Wenn du stirbst, wird auch deine Sozialversicherungsnummer ungültig, was kein Problem ist, solange du tot bleibst. Doch wenn du zurückkehrst und dich aufgrund einer genetischen Besonderheit oder weil du zu Lebzeiten zu viele Cremetörtchen gegessen hast, in einen Zombie verwandelst, tja, dann bist du ganz schön angeschissen. Da Untote nicht als Menschen betrachtet werden, nicht mal von Atmern, die einer religiösen Vereinigung angehören, stehen die Chancen, deine Sozialversicherungsnummer zurückzubekommen, ungefähr so gut wie die Chancen, dass irgendwo in Wyoming ein Schwuler zum Sheriff gewählt wird.
Ohne Sozialversicherungsnummer aber kriegst du weder einen Job, noch kannst du bei den Bundesbehörden oder beim Staat Unterstützung beantragen oder mit finanzieller Hilfe für eine Weiterbildung rechnen. Was es schwer macht, deinen Lebensunterhalt zu verdienen, selbst wenn du nicht von den Toten wiederauferstanden bist und angefangen hast, Menschenfleisch zu essen. Außer in Tennessee. Ich habe gehört, dass die Richtlinien dort etwas lockerer sind.
Nachdem ich eine Weile das Haus meiner Eltern durchsucht habe, finde ich in einer Schachtel in ihrem Schlafzimmer meine Geburtsurkunde und meinen Führerschein.
Sowie eine Ausgabe des Kamasutra, eine Flasche Massageöl, ein Paar Handfesseln aus Leder, einen Dildo und drei Polaroids von meiner nackten Mutter.
Ich glaube, ich sollte einen weiteren Termin mit meinem Therapeuten vereinbaren.
Um deine Sozialversicherungsnummer wiederzubekommen, nachdem man dich irrtümlicherweise für tot erklärt hat, musst du einen Nachweis über deine amerikanische Staatsangehörigkeit, dein Alter und deine Identität erbringen. Bist du älter als zwölf, musst du dazu persönlich auf dem Sozialamt erscheinen.
Früher, als die meisten Leute nicht mal einen Fernseher besaßen, konnte man sich Geburtsurkunde, Lichtbildausweis und Sozialversicherungsnummer ausschließlich auf dem Postweg besorgen. Doch in den Vereinigten Staaten nach dem 11. September, nach dem Patriot Act, ist das nicht mehr möglich.
Selbst wenn dem so wäre, habe ich nicht die Absicht, mir eine Sozialversicherungsnummer zu erschleichen. Ich möchte mir weder einen falschen Namen noch eine falsche Identität zusammenbasteln, um das System auszutricksen, damit ich in mein altes Leben zurückkehren kann.
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