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Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Titel: Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Schilling-Frey
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offeneres System ist, als wir lange Zeit für möglich gehalten hatten. Im Jahre 1959 erlitt der Dichter Pedro Bach-y-Rita, Pauls Vater, im Alter von 65 Jahren einen Schlaganfall. Sein Gesicht und eine Körperhälfte waren gelähmt, seine Sprechfähigkeit fast vollständig verschwunden. Er war vollkommen hilflos, musste auf die Toilette und in die Badewanne gehoben werden. Nach einigen Wochen Reha, die an Pedros Zustand nichts änderten, nahm Pedros Sohn George seinen Vater zu sich.
    Eines Tages beschloss George, seinem Vater das Gehen wieder beizubringen. Da auch Babys auf allen vieren lernen zu gehen, versuchte George, seinem Vater über das Erlernen von Krabbeln wieder zum Gehen zu bringen. Monatelang krabbelte Pedro an einer ihn stützenden Hauswand entlang. Ganz allmählich machte er Fortschritte: vom Krabbeln auf allen vieren über auf den Knien robben bis zu stehen und gehen. Nach etwa drei Monaten mehrten sich die Anzeichen, dass er auch die Sprache wieder erlernen würde. Sogar das Tippen auf der Schreibmaschine lernte er mithilfe der ausgefeiltesten Techniken wieder. Nach etwa einem Jahr Training war der damals 68-jährige Pedro Bach-y-Rita wieder fähig, seine Lehrtätigkeit am City College von New York aufzunehmen. Ein paar Jahre später erlitt er auf einer Klettertour im Hochgebirge einen Herzinfarkt und starb kurz darauf. 1965 wurde Pedro Bach-y-Ritas Leichnam nach San Francisco überführt, wo sein Sohn Paul arbeitete. Pedros Leichnam wurde obduziert, um etwas über die Erkrankungen des Gehirns und die Todesursache zu lernen. Bei der Autopsie stellte sich heraus, dass Pedro bei dem Schlaganfall eine gewaltige Hirnverletzung erlitten hatte. Diese Hirnverletzung wurde nie geheilt, obwohl Pedro sämtliche Funktionen wiedererlangt hatte. Wichtige Regionen der Großhirnrinde und vor allem des Hirnstamms waren verletzt. Etwa 97 Prozent aller Nervenverbindungen zwischen Großhirn und Rückenmark waren bei dem Schlaganfall zerstört worden. Dieser katastrophale Schaden verursachte die Lähmung. Durch die Arbeit mit George hatte sich Pedros Gehirn völlig neu strukturiert.
    Diese Geschichte bewies, dass eine »späte Genesung« auch nach einem massiven Schlaganfall noch möglich ist. Paul Bach-y-Rita konnte nun als einer der ersten Naturwissenschaftler zeigen, dass das Gehirn plastisch und vor allem auch viel flexibler ist, als man bis dato glaubte. Wissenschaftler gingen bis zu diesem Zeitpunkt von einer Lokalisationstheorie aus, die unter anderem besagte, dass ein Sehzentrum für unser Sehen und ein Hörzentrum für unser Hören verantwortlich ist. Paul konnte nun zeigen, dass diese Regionen formbare Prozessoren sind, die untereinander in Verbindung stehen und damit auch in der Lage sind, eine ungeheure Anzahl von Reizen zu verarbeiten.
    Versuche mit Frettchenjungen zeigten, dass diese Frettchen auch mit dem Hörzentrum sehen lernen konnten. Damit wurde erwiesen, dass Tiere – und vor allem Menschen – eine Gehirnstruktur haben, die in einer veränderten Umwelt überleben kann, weil sie sich selbst verändert.
    Beschäftigen wir uns mit dem Gehirnaufbau, so können wir, laut dem Hirnforscher António R. Damásio, feststellen, dass Gehirne aus dem menschlichen Genom und den erfahrungsbestimmten, modernen Teilen des Gehirns bestehen. Dieses menschliche Genom beinhaltet die Gesamtsumme der Gene in unseren Chromosomen und legt damit die ungefähre Struktur des Gehirns fest. Beim Genom handelt es sich um angeborene Schaltkreise, die die Körperregulation, aber auch die modernen Strukturen des Gehirns beeinflussen.
    Zum modernen, erfahrungsbestimmten Teil des Gehirns gehört die Großhirnrinde, die durch Umweltbedingungen, Kultur, Erziehung, aber auch durch unvorhersehbare Erfahrungen jedes Individuums beeinflusst wird. Zwischen diesen beiden Teilen besteht eine Wechselwirkung: Nicht nur beeinflusst das angeborene Genom die Großhirnrinde, äußere Einflüsse, die sich in der Struktur der Großhirnrinde zeigen, können ihrerseits das Genom verändern. Durch Versuche mit Strauchratten konnte man nachweisen, dass Störungen bei der Aufzucht von Jungratten das limbische System dieser Ratten veränderten. Das limbische System gehört mit zum Genom. Wuchsen Ratten nicht mit dem nötigen Fellkontakt auf, konnte man in bestimmten Hirnregionen wuchernde Synapsen und veränderte Regionen des limbischen Systems nachweisen.
    Aus Erfahrungen lernen heißt, dass die Struktur des Gehirns verändert werden kann. Der

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