Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen
ihres Lebens ihren Charakter, ihre Talente und ihr Verhalten ändern können. Jedoch können wir nicht davon ausgehen, dass gar nichts genetisch festgelegt ist: Forschungen mit Meerkatzen zeigten, dass Affenjungen eher mit Fahrzeugen und Affenmädchen eher mit Puppen spielten. Bei Menschen ist mittlerweile erwiesen, dass sich Mädchen bereits im Alter von einem Tag mehr für menschliche Gesichter interessieren als Jungen. 19
Dass Charaktere sich verändern können, zeigen prominente Beispiele wie beispielsweise Joschka Fischer: Aus dem staatskritischen Sponti wurde ein Außenminister. Oder Prince: Aus dem schrillen Popstar wurde ein Zeuge Jehovas, und aus Muskelpaket Arnold Schwarzenegger wurde ein kalifornischer Gouverneur.
Der Psychologe Anders Ericsson von der Florida State University, der sich seit 20 Jahren mit dem Thema Begabung beschäftigt, ist davon überzeugt, dass Talent unwichtig ist. Denn es existiert bisher kein Beweis dafür, dass besondere Fähigkeiten angeboren wären: Das Rezept für Talent liegt im Üben, Üben, Üben. In einer Studie an der Universität der Künste, die Ericsson mit Kollegen vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung durchführte, wurden Musikstudenten gebeten, eine Woche lang Tagebuch zu führen. Es zeigte sich, dass alle Studenten sich 50 und 60 Stunden pro Woche mit Musik beschäftigten. Trotzdem waren manche deutlich besser als andere. Jedoch verbrachten etwa die Hälfte der Studenten nur ein Sechstel ihrer Zeit mit intensivem Einzeltraining, während die andere Hälfte der Studenten einen Großteil dieser Zeit intensiv übten. Die, die länger intensiver übten, waren deutlich erfolgreicher. 20
Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass das Gehirn genau wie ein Muskel trainiert werden kann. Der Psychologe Mark Rosenzweig war einer der Ersten, die zeigten, dass ein stimulierendes Umfeld das Gehirn wachsen lässt. Tiere, die mit Artgenossen leben, Gegenstände erforschen, auf Leitern klettern etc., also in einer informationsreichen Umgebung aufwachsen, lernen mehr als Tiere, die in einer informationsarmen Umgebung aufwachsen. Versuche haben gezeigt, dass die Gehirne von Ratten, die lernen, schwerer sind als von Ratten, die keine Lernprozesse erfahren. Außerdem bringen trainierte Neuronen mehr Verästelungen hervor, sind größer und werden besser durchblutet. Was für Tiere gilt, gilt in dem Fall auch für Menschen: Was meinen wir eigentlich, wenn wir von »üben« sprechen? Wollen wir immer mehr üben, um perfekte Menschen zu werden? Zwar können wir durch wiederholtes Spielen eines Instruments das Instrument immer besser beherrschen – es ist jedoch fraglich, ob in der Perfektion der Sinn und Zweck des Übens steckt.
Üben steht hier auch für Gewohnheit. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Jetzt haben wir die Qual der Wahl: Üben wir beispielsweise das Rauchen, entwickelt sich daraus relativ schnell eine Gewohnheit, die wir nicht so schnell wieder loswerden. Üben wir das Laufen, entwickeln wir auch hier eine Gewohnheit. Der Unterschied dieser beider Gewohnheiten leuchtet uns allen ein: Das Rauchen ist schädlich, das Laufen förderlich für unsere Gesundheit.
Schlechte Gewohnheiten wieder loszuwerden, fällt uns schwer. Das liegt vor allem daran, dass die Plastizität unseres Gehirns auch immer etwas mit Konkurrenz zu tun hat. Das Gehirn ist kein großer Behälter, der beim Lernen mit Wissen gefüllt wird. Eine schlechte Gewohnheit einüben, bedeutet, dass diese schlechte Gewohnheit die Kontrolle über ein bestimmtes Gehirnareal übernimmt. Jedes Mal, wenn wir eine schlechte Gewohnheit wiederholen, wird die Art von Kontrolle verstärkt und verhindert damit, dass wir diesen Platz für eine gute Gewohnheit nutzen. Es ist also wesentlich leichter, sich eine Angewohnheit zuzulegen, als diese wieder loszuwerden.
Umso wichtiger ist es, positive Gewohnheiten zu entwickeln. Das ist aber alles andere als einfach: Wir bewegen uns hier nämlich nicht in einer Komfortzone, in der wir immer nur dasselbe in der gleichen Intensität üben. Beim Laufen etwa bedeutet das, dass wir auch Muskeltraining machen, dass wir unsere Geschwindigkeit oder die Kilometerzahl, die wir laufen, erhöhen können. Denn wenn etwas für uns herausfordernd bleibt, bedeutet dies, dass wir präziser, schneller und nachhaltiger lernen und wahrnehmen. Lernen bedeutet aber nicht nur, dass wir unser Wissen vermehren, sondern auch, dass wir die Struktur unseres Gehirns so verändern können, dass unsere
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