Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen
bestimmt, ob der Mensch etwas wert ist oder nicht. Ob er Dinge jedoch wirklich besitzt oder ob er nur so tut, spielt keine Rolle mehr: Der Gedanke dürfte uns nicht unbekannt sein, wenn wir die vielen teuren Leasingautos auf unseren Straßen sehen.
Der kultivierte Mensch Rousseaus nutzt die Sprache nicht mehr, um seine unmittelbaren Bedürfnisse ausdrücken zu können, sondern entwickelt eine Rhetorik, eine unpersönliche Sprache, die er dazu nutzt, als etwas zu erscheinen, das er gar nicht ist. Damit vollziehen die Menschen ihre eigene Trennung von Innen und Außen, von Sein und Schein. Menschen werden ungleich und kämpfen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln darum, etwas wert zu sein. Für Rousseau steht fest, dass die Zivilisation und die Kultur den Menschen böse gemacht haben. Da Gutsein eine Voraussetzung für unser Glück ist, haben wir kultivierten und zivilisierten Menschen unser Glück verspielt. Ist das wirklich so?
Wie viel Gesellschaft braucht der Mensch?
Rousseau war der Ansicht, dass der eigentliche Mensch verschüttet sei unter einem Berg von Konventionen, Anpassungsleistungen, Gewohnheiten, Regeln und Bequemlichkeiten. Dieser Berg, diese Kultur verhindert es, dass der Mensch so sein kann, wie er eigentlich ist. Denn Kultur entfremdet den Menschen von sich selbst. Menschen werden zu Konformisten: Sie tun nur noch das, was andere von ihnen erwarten, und werden unglücklich. Die Menschen entfremden sich so sehr von sich selbst, dass sie gar nicht mehr wissen, welche eigenen Wünsche sie haben.
Der Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe Erich Fromm unterstützt diese These. Im Jahre 1900 wird Fromm in Frankfurt am Main in eine streng religiöse jüdische Familie hineingeboren. Er ist das einzige Kind von überängstlichen Eltern, wie er selbst einmal betont. Schon als kleiner Junge interessiert er sich für jüdische Mystik, fühlt sich jedoch zwischen zwei Welten hin und her gerissen: die jüdisch religiöse Welt mit all ihren Traditionen und die säkulare Welt Frankfurts, die Welt seiner späteren Mitschüler. Auch seine Schulfreunde nahmen den Jungen als einen streng religiösen Jungen wahr. Es kursierte der Spruch: »Lieber Gott, mach mich wie den Erich Fromm, dass ich in den Himmel komm.«
1922 promoviert Fromm über Das jüdische Gesetz im Rahmen eines Soziologiestudiums. Durch neue Freunde löst sich Fromm vom jüdisch orthodoxen Leben, lernt Frieda Reichmann kennen und lieben und findet eine neue faszinierende Herausforderung: die Psychoanalyse Sigmund Freuds. Fromm hat Freud nie persönlich kennengelernt, aber er hat sich sein ganzes Leben lang mit der Person Freud als Schöpfer der Psychoanalyse beschäftigt. Er macht eine psychoanalytische Ausbildung bei Mitarbeitern von Freud und eröffnet zusammen mit seiner derzeitigen Frau Frieda eine psychoanalytische Praxis in Berlin. Die psychoanalytische Charakterologie nutzt Fromm für die Entwicklung einer ethischen Theorie. Denn für Fromm genügt es nicht, isolierte Tugenden oder Laster zu betrachten, wenn sie aus dem Gesamtzusammenhang, dem Charakter eines Menschen, herausgerissen werden. Gegenstand der ethischen Forschung müssen deshalb nicht Tugenden oder Laster sein, sondern der tugend- oder lasterhafte Charakter.
Es ist insbesondere die unbewusste Motivation, die Fromm an der Psychoanalyse interessiert. Denn nicht so sehr das Verhalten selbst soll beurteilt werden, sondern seine Motivation. Fromm unterscheidet hier zwischen Verhaltensweisen und Charakterzügen: Verhaltensweisen sind Dinge, die wir an anderen Menschen beobachten können. Sparsamkeit oder Mut sind solche Verhaltensweisen. Was wir jedoch nicht sehen können, ist die Motivation, warum sich ein Mensch zum Beispiel sparsam verhält. Jedem Verhalten liegen Charakterzüge zugrunde. Diese Charakterzüge leiten sich, nach Fromm, von einer sogenannten Charakterorganisation ab. Dabei ist eine Charakterorganisation eine spezifische Orientierung des Charakters, die sich dadurch bildet, dass sich der einzelne Mensch mit seiner Umwelt in Beziehung setzt: zum einen mit den Dingen, zum anderen mit den Menschen der Welt.
Aber nicht nur Fromm selbst, auch die Welt um ihn herum verändert sich. Bürgerliche Traditionen werden abgelöst durch die Ballung der wirtschaftlichen Macht. Im Institut für Sozialforschung in Frankfurt begründet Fromm eine analytische Sozialpsychologie : Er versucht zu ergründen, warum Menschen, oft unbewusst gesteuert, sich nicht gegen
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