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Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Titel: Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Schilling-Frey
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verinnerlichter Gerichtshof lässt dem Individuum keinerlei Freiheit, sich selbst zu entfalten. Diese unfreien, moralischen, von der Tradition erdrückten Menschen können nur dann erlöst sein, wenn sie Zeit nicht mehr linear erleben. Das heißt, nicht mehr von den Sorgen und Problemen der Vergangenheit erdrückt werden. Nicht mehr nur das tun und denken dürfen, was andere von ihnen erwarten oder was aus Traditionen entstanden ist. Nicht mehr nur noch daran denken, wie sie ihre Zukunft planen können, was sie als Nächstes machen müssen und was auf gar keinen Fall warten darf. Der »Mittag« bei Nietzsche ist so etwas wie das »Hier und Jetzt« ohne Vergangenheit und ohne Zukunft.
    Der »Mittag« ist damit die glücklichste und vollkommenste Stunde, aber auch für Zarathustra birgt der Mittag das Problem, sich zu entscheiden. Denn auch er weiß, dass es nicht nur glückliche Momente und Augenblicke im Leben gibt. Und dass das Leben der Veränderung unterworfen ist und somit der glückselige Augenblick nicht ewig dauern kann. Diese Entscheidung stört die glückliche, bewegungslose Stunde, eröffnet aber gleichzeitig einen neuen Lebenshorizont. Denn sich zu entscheiden, heißt »Ja« zu sagen zu Veränderung. Die Menschen des Mittags haben die Möglichkeit, zu wollen und zu schaffen. Generell haben bei Nietzsche alle Menschen die Möglichkeit, den Mittag zu erleben, aber nur ganz wenige von ihnen werden fähig sein, am Punkte des Mittags das Leben wollen zu können: selbst dann, wenn es leidvolle Stunden und Tage mit sich bringt. Dieser Mittag ist in Nietzsches Überlegungen ein Augenblick, in dem sich der Mensch von der Vergangenheit ausruhen kann, um sich dann für ein tätiges, aktives, produzierendes Leben zu entscheiden. Auch dann, wenn unser Leben kein generelles Ziel verfolgt. Auch dann, wenn unser Leben keinen Sinn hat dahingehend, dass wir nach unserem Tod mit einem Paradies belohnt werden würden. Gerade dann können wir uns aus freien Stücken, in der Stunde des Mittags, für unser eigenes, glückliches Leben entscheiden.
    Leben wir in einer kreisförmigen Zeit, können wir nur glückliche Menschen sein, denn nur glückliche Menschen können wollen, dass sich alles immer wieder wiederholt. Damit ist der zentrale Gedanke in Nietzsches Philosophie: »Die ewige Wiederkehr des Gleichen« und die kreisförmige Zeit. Alle Ereignisse wiederholen sich unendlich. Unser Leben ist bestimmt durch Gewohnheit und Übung. Aber gerade diese Routinen sind die Grundlage von höchster Lebensbejahung.
    Nietzsche verbindet die »Lehre der ewigen Wiederkehr des Gleichen«, der kreisförmigen Zeit, mit der Entscheidung des Menschen. Hier entdecken wir einen offensichtlichen Widerspruch. Denn entweder, es wiederholt sich alles immer wieder, dann macht es keinen Sinn mich anzustrengen, denn es ist ja alles nur Wiederholung. Oder ich entscheide mich. Daraus resultiert jedoch dann eine Veränderung. Nietzsche selbst hat dazu keine Stellung genommen. Genauso wenig finden wir eine Äußerung oder eine klare Definition bei Nietzsche, was Zeit ist.
    Denken wir gemeinsam darüber nach, wie sich dieser vermeintliche Widerspruch auflösen könnte. Was könnte Nietzsche damit meinen? Vielleicht würde er diesen Widerspruch einfach stehen lassen wollen. Denn manchmal ist das Leben einfach widersprüchlich. Aber es könnte auch sein, dass er folgende Schlüsse ziehen würde:
    Dieses sich ewig Wiederholende, das Gewohnte ist ein großer Bestandteil unseres Lebens. Und das ist gut so. Aber in unseren Gewohnheiten steckt auch das Ungewöhnliche. Und das gilt es bei sich zu entdecken. Unser Wille, uns immer wieder neu zu entdecken, gibt uns die Kraft und Energie, auch Nichtgeglücktes zu überwinden. Diese Überwindung verschafft uns wieder Erfolgserlebnisse, die von Glücksgefühlen begleitet werden. Deshalb steckt im Unglück auch Glück und im »Wehe auch Wohl«. Glück ist demnach bei Nietzsche ein integrativer Bestandteil des Individuums, das sich aus eigener Kraft immer wieder selbst überwindet und sich dadurch stärker und zufriedener macht. Die Herdentiere, die nach der Flöte des Hirten tanzen, sind nicht die Menschen, die an ihrem Glück arbeiten. Mag die Gesellschaft auch weiterhin ihr vermeintliches Herdenglück genießen, doch wer sich zu Höherem berufen fühlt, muss seinen Herdentrieb überwinden, um ganz und gar er selbst zu werden.
    Warum also ist es für das Glück wichtig, Zeit nicht ausschließlich linear zu erleben? Was

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