Ansichten eines Clowns
sich gerührt wieder hinsetzte, einen Vortrag über die jüdischen Yankees. Ich sagte, man habe eine Zeitlang geglaubt, der Name Schnier, mein
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Name, habe mit schnorren zu tun, aber es sei nachgewiesen, daß er von Schneider, Schnieder abzuleiten sei, nicht von schnorren, und ich sei weder Jude noch Yankee, und doch - und dann ohrfeigte ich Herbert ganz plötzlich, weil mir einfiel, daß er einen unserer Schulkameraden, Götz Buchel, gezwungen hatte, den Nachweis seiner arischen Abstammung zu erbringen, und Götz war in Schwierigkeiten geraten, weil seine
Mutter eine Italienerin war, aus einem Dorf in Süditalien - und über deren Mutter dort etwas herauszukriegen, was auch nur annähernd einem arischen Nachweis
ähnlich war, erwies sich als unmöglich, zumal das Dorf, in dem Götz' Mutter geboren war, um diese Zeit schon von den jüdischen Yankees besetzt war. Es waren peinliche, lebensgefährliche Wochen für Frau Buchel und Götz, bis Götz' Lehrer auf die Idee kam, einen von den Rassespezialisten der Bonner Universität zu einem Gutachten zu bewegen. Der stellte fest, daß Götz »rein, aber auch vollkommen rein westisch« sei, aber Herbert Kalick brachte dann den Unsinn auf, alle Italiener wären Verräter, und Götz hatte bis Kriegsende keine ruhige Minute mehr. Das fiel mir ein, während ich den Vortrag über die jüdischen Yankees zu halten versuchte - und ich knallte Herbert Kalick einfach eine ins Gesicht, schmiß mein Sektglas ins Kaminfeuer, das
Käsemesser hinterdrein und zog Marie am Arm hinter mir her, hinaus. Wir konnten da oben kein Taxi bekommen und mußten zu Fuß gehen, eine ganze Weile, bis wir
zur Busstation kamen. Marie weinte und sagte die ganze Zeit über, es sei unchristlich und unmenschlich von mir gewesen, aber ich sagte, ich sei kein Christ und mein Beichtstuhl sei noch nicht geöffnet. Sie fragte mich auch, ob ich denn an seiner, Herberts, Wandlung zum Demokraten zweifle, und ich sagte: »Nein, nein, ich
zweifle ja gar nicht dran - im Gegenteil - aber ich mag ihn einfach nicht und werde ihn nie mögen.«
Ich schlug das Telefonbuch auf und suchte Kalicks Nummer. Ich war in der rechten Laune, mich mit ihm am Telefon zu unterhalten. Mir fiel ein, daß ich ihn später noch einmal
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bei einem jour fixe zu Hause getroffen, er mich flehend und kopfschüttelnd angesehen hatte, während er sich mit einem Rabbiner über »jüdische Geistigkeit«
unterhielt. Mir tat der Rabbiner leid. Er war ein sehr alter Mann, mit weißem Bart und sehr gütig und auf eine Weise harmlos, die mich beunruhigte. Natürlich erzählte Herbert jedem, den er kennenlernte, daß er Nazi und Antisemit gewesen sei, daß die
»Geschichte ihm aber die Augen geöffnet« habe. Dabei hatte er noch am Tag, bevor die Amerikaner in Bonn einmarschierten, mit den Jungen in unserem Park geübt und ihnen gesagt : »Wenn ihr das erste Judenschwein seht, dann drauf mit dem Ding.« Was mich an diesen joursfixes bei meiner Mutter aufregte, war die Harmlosigkeit der zurückgekehrten Emigranten. Sie waren so gerührt von all der Reue und den laut hinausposaunten Bekenntnissen zur Demokratie, daß es dauernd zu Verbrüderungen und Umarmungen kam. Sie begriffen nicht, daß das Geheimnis des Schreckens im
Detail liegt. Große Sachen zu bereuen ist ja kinderleicht: Politische Irrtümer, Ehebruch, Mord, Antisemitismus - aber wer verzeiht einem, wer versteht die Details ?
Wie Brühl und Herbert Kalick meinen Vater angesehen hatten, als er mir die Hand auf die Schulter legte, und wie Herbert Kalick, außer sich vor Wut, mit den Knöcheln auf unseren Tisch schlug, mit seinen toten Augen mich ansah und sagte: »Härte, unerbittliche Härte«, oder wie er Götz Buchel am Kragen packte, ihn vor die
Oberklasse stellte, obwohl der Lehrer leise protestierte, und sagte: »Seht euch den an
- wenn das kein Jude ist!«Ich habe zuviel Augenblicke im Kopf, zuviel Details, Winzigkeiten - und Herberts Augen haben sich nicht geändert. Mir wurde bange, als ich ihn da bei dem alten, etwas dummen Rabbiner stehen sah, der so versöhnlich gestimmt war, sich von Herbert einen Cocktail holen und etwas über jüdische Geistigkeit vorschwätzen ließ. Die Emigranten wissen auch nicht, daß nur wenige
Nazis an die Front geschickt wurden, gefallen sind fast nur die anderen, Hubert Knieps, der im Haus neben Wienekens wohnte, und Günther Cremer, der
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Sohn des Bäckers, sie wurden, obwohl sie Hitlerjugendführer waren, an die Front geschickt, weil
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