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Ansichten eines Klaus - Roman

Ansichten eines Klaus - Roman

Titel: Ansichten eines Klaus - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael-André Werner
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streichelt der Kleinen über den Kopf und hält ihr dann einen Zeigefinger hin, an dem sie sich festklammert.
    »Wahrscheinlich gar nichts. Ich wollte damals gar nichts hören. Ich wollte einfach nur, dass es nicht passiert wäre. Oder dass er einfach verschwindet. Alles andere ...« Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. »Alexander hat dann natürlich noch weiter erklären wollen. Nur eine Bürogeschichte. Nichts Ernstes. Mehr so ihre Idee. Bis schließlich: Sie hat ihn ausgenutzt. Ja, er hat sich ausnutzen lassen. Er war schwach. Bla, bla, bla. Arschloch. Und den Rest kennst du.«
    »Und woher wusste sie es?«, frage ich.
    Beate zuckt mit den Schultern. »Hat sie nicht gesagt. Hat jedenfalls Alexander meinem Bruder nicht erzählt. Oder Alexander hat nicht gefragt. Vielleicht wollte er es auch nicht erzählen.«
    Mein Tee ist kalt. Lina ist längst wieder spielen gegangen. Nebenan klappert etwas über den Dielenboden. Ilse ist in Beates Arm eingeschlafen.
    »Tja«, sagt Beate. »Und bei dir so? Du und deine Paula.«
    »Petra.«
    »Frisch verliebt? Glücklich?«
    »Ja«, sage ich.
    »Na, das ist die Hauptsache. Wie habt ihr euch denn kennengelernt?«
    »Ach, das ist eine gar nicht mal so lustige Geschichte«, sage ich. »Aber da musst du mir noch einen Tee machen.«
    »Mach ich«, sie steht auf, sagt »halt mal«, drücktmir das kleine Bündel in den Arm. Es ist leicht, weich und warm und lässt sich nicht davon wecken, plötzlich in einem anderen Arm zu liegen. Beate füllt Wasser in einen Kessel und stellt ihn auf den Herd, macht die Gasflamme an, es rauscht kurz, dann brennt es. »Erzähl!«
    »Na gut, also, pass auf«, sage ich und fange an, das Kind ein bisschen hin und her zu wiegen.

VOR ZWEI JAHREN
    »Na, wo drückt denn der Schuh?«, fragt Jochen, als ich es mir in dem viel zu bequemen Zahnarztstuhl gemütlich gemacht habe. Er dreht an der Lampe über seinem Kopf herum, bis sie mir genau in den Mund scheint.
    Ich deute auf meine rechte Backe.
    »Aha«, sagt er, »entzündet.«
    So weit war ich auch schon.
    »Na, dann mach mal auf.«
    Ich mache. Er sieht rein.
    »Uijuijui – da fehlt ja die Hälfte. Und heute isch das auch net passiert. Oder?«
    Zahnärzte. Man kann ihnen nichts vormachen. »Vor ein paar Tagen«, sage ich undeutlich.
    Das Gute an einem Zahnarzt seines Vertrauens – der der Freund des Bruders der besten Freundin ist – ist, dass man manchmal früher drankommt. Ich bin sozusagen immer der Nächste bitte, egal, ob im Wartezimmer nun zwei oder zweiundzwanzig Leute sitzen.
    »Vor ein paar Wochen, würde ich eher meinen«, sagte Jochen nun, »isch ja alles schon wieder zugewachsen.« Er piekt ein bisschen im Zahnfleisch herum, mit einer Sonde. Als der erste Schmerz vorbeiist, puckert es. »Sag ich ja, entzündet. Und da kommst du erscht heute zu mir?«
    »Bisher hat es nicht weh getan«, formuliere ich mit offenem Mund und vorsichtig, damit er mir die Sonde nicht noch woanders hinpiekt.
    »Kunschtstück«, sagt er, dreht die Sonde um und klopft mit dem anderen Ende seines Instruments gegen den verbliebenen Zahn. »Siescht?«
    Ich sehe nichts.
    »Der Zahn isch dod. Der schläft nisch«, sagt er. »Der isch mausedod. Kennscht du Monty Pythons Papageiensketsch?«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Kommt ein Mann in einen Tierladen, knallt einen toten Papageien auf den Tisch und sagt: ›Der Papagei isch dod. Sie hatten mir gesagt, der schläft nur.‹ Erinner mich mal dran, dass ich dir die DVD brenne. Dieser Zahn jedenfalls ischt dod. Aber die Füllung hat gehalten. Hut ab vor dem Kollegen, ach, das war ich ja selbscht. Kannscht zuklappen.«
    Ich klappe zu.
    »Also«, Jochen setzt sich auf einen Hocker neben mich, faltet die Hände und stützt sich mit den Ellenbogen auf seine Oberschenkel, »das kann so nisch bleibe. Erschtens, weil ich mit solchen Sachen mein Geld verdiene. Nein, Scherz beiseite. So ein halber Zahn muss eine ganz ungünschtige Druckverteilung aushalten und wird sowieso nach und nach wegbrechen. Außerdem entzündet sichdas immer wieder. Ich werde heute einen Abdruck von dem Restzahn machen, dann wird der fehlende Teil ersetzt und angeklebt. Vorher muss ich den Zahn aber erschtmal freilegen. Keine Angscht, das tut nicht weh, da kriegst du ne Spritze. Aber vor allem tu ich mal was gegen die Beule. Du hascht ein bisschen Zeit?«
    Ich nicke.
    Er steht auf, ruft seine Sprechstundenhilfe herein – interessant, dass selbst schwule Zahnärzte weibliche Sprechstundenhilfen haben.

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