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Ansichten eines Klaus - Roman

Ansichten eines Klaus - Roman

Titel: Ansichten eines Klaus - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael-André Werner
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Mal ... Und sich dann auch noch erwischen lassen. Fertig. Und spülen bitte.«
    Während ich mir den Grillschnitzelgeschmack aus dem Mund zu spülen versuche, schaltet er den Lötkolben aus und steckt ihn zum Abkühlen in eine Halterung. »Und mal ehrlich«, fährt er fort, »Ilka, ich meine, die isch ja eigentlich eine ganz liebe, soviel ich von ihr mitbekommen habe, aber so richtig, ich meine, dass sie ihn damals nach der Sache noch überhaupt wieder in die Wohnung ... Na, das hat sie ja jetzt davon. Fertig mit Spülen?«
    Ja, fertig, ich lasse mich wieder in den viel zu bequemen Zahnarztstuhl zurückfallen.
    »Sodele, jetzt wird gebohrt. Das geht ratzfatz und tut nicht weh.«
    Warum sagt er das andauernd? Warum wird das sowieso immer gesagt? Das dauert nicht lange. Das wird nicht teuer. Das ist nicht kompliziert. Da werden die Steuern nicht steigen. Das tut nicht weh. Das ist doch wie Pfeifen im Wald.
    »Erschtens ist der Zahn ja tot«, fährt er fort, »zweitens ist alles noch betäubt, will ich hoffen, und drittens hab ich dir eben alle noch relevanten Nervenenden weggebrannt. Da kann also nichts mehr wehtun.«
    »Nehmen wir Kofferdam?«, fragt Jenny. Es ist das erste Mal, dass ich ihre Stimme höre, sie hat heute noch gar nichts gesagt, selbst vorhin, beim Reinkommen, hat sie nur genickt.
    »Was ist eigentlich aus Conny geworden?«, frage ich.
    Jochen sieht mich an und für einen Moment frage ich mich, ob das Rattern aus seinem Kopf kommt oder aus der Zahnarztinstrumenten-Maschinen-Stuhl-Turm-Konstruktion. »Ach, Conny«, ruft er und sein Kopf schnellt nach hinten, so unvermutet und plötzlich scheint ihm der Gedanke in den Kopf geschossen zu sein. »Die isch doch schon seit fünf Jahren net mehr bei mir. Da warst du ja wirklich lange net mehr ...« Dann blickt er zu Jenny. »Jenny, setzscht du den Patienten nachher bitte auf unsere spezielle Liste.«
    »Spezielle Liste?«, frage ich.
    »Du hast ab sofort automatisch einen Termin bei mir, alle halbe Jahre. Und Jenny ruft dich sogar vorher an.«
    Na, herrlich. »Ist das dein neuer Service?«, frage ich.
    »Nein, das machen wir mit allen Patienten unter vierzehn. Sodele, und jetzt Mäulchen auf, es wird gebohrt, eh da wieder Zahnfleisch drüberwuchert.«
    »Und das Kofferdam?«, fragt Jenny noch mal.
    »Kofferdam, papperlapapp, sind wir hier an der Uniklinik? Dann komme ich doch an den Zahn gar net mehr richtig dran.«
    Und dann bohrt er. Stimmt, tut nicht weh. Wohl das erste Mal, dass ich das bei einem Zahnarzt sagen kann. Wieso hat man mir von Kindheit an erzählt,es würde beim Zahnarzt nicht weh tun? Hatte ich besonders empfindliche Zähne? Waren die anderen mit einer höheren Schmerzschwelle gesegnet? Nur die Geräusche, die sich über den Kiefer im ganzen Schädel verteilen, sind laut wie immer. Und der Gedanke, der Bohrer würde abrutschen und sich einmal quer durch die Zahnreihe fräsen, geht von der Spritze auch nicht weg. Beim Bohren sagt Jochen nichts, außer zweimal »Saugen« zu Jenny, und obwohl mich diese Trennungssache immer noch nicht interessiert, wäre mir die jetzt viel lieber als gar nichts zur Ablenkung. Der Zahnarzt, zu dem ich als Kind gegangen bin, ein sonnengebräunter Muskelprotz mit behaarten Unterarmen und einem kantigen Gesicht, dem man ansah, dass er lieber Segeln gegangen wäre, als jemandem im Mund rumzubohren, hatte ein Radio mit nur einem Sender in seiner Praxis. Auf dem lief immer eine seltsame Musik, nie etwas, was ich kannte, nur Instrumentales. Bei Jochen läuft nur das Lied vom Bohrer.
    »Sodele, fertig, spülen mal bitte.«
    Ich spüle.
    »Das Schlimmste hätten wir hinter uns.«
    Wir ist gut.
    Er nimmt eine kleine Blechkelle mit Griff, spachtelt eine blaue Kunststoffmasse hinein und sagt: »Wir machen jetzscht einen Abdruck von deinem Gebiss. Ich schiebe dir die Abdruckmasse in den Mund, und du musst ein paar Minuten fescht zubeißen.Net kauen, net hin- und hermahlen, einfach zubeißen. Und den Druck halten, net nachlasse.«
    Wir tun, wie er gesagt hat. Ich beiße die Zähne zusammen.
    »Also«, sagt Jochen, blickt auf die Uhr und setzt sich, »alles, was ich weiß, ist Folgendes: Vor einem halben Jahr ungefähr ist er wieder bei ihr eingezogen, na ja, ischt ja auch noch seine Wohnung. Aber was keiner wusste damals: Der Alexander, der hat die andere Wohnung, die, in die er nach dem Rausschmiss rein ist, nur ein paar Häuser weiter, die hat er behalten. Hat er ihr net erzählt, der Ilka. Gut, sie hat ja auch net gefragt.

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