Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ansichten eines Klaus - Roman

Ansichten eines Klaus - Roman

Titel: Ansichten eines Klaus - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael-André Werner
Vom Netzwerk:
Andererseits, sein Freund würde ihm was erzählen, wenn dem nicht so wäre.
    »Sodele, jetzt gibsch erschtmal die Spritze. Tut nicht weh, am beschte, du machscht die Augen zu.«
    Die Spritze war für mich beim Zahnarzt auch nie das Problem. Immer nur die Behandlung ohne Spritze.
    »Ich hatte ja mal einen Kandidaten, bei dem hat nichts gewirkt«, sagte Jochen, als er die Nadel kurz herauszieht und gleich daneben noch einmal einsticht. »Dem muschte ich bei einer Wurzelkanalbehandlung alle fünf Minuten mit einer Spezialnadel direkt in die noch nicht abgestorbene Pulpa spritzen. War kein Spaß.«
    Das ist nicht unbedingt die Zahnarztanekdote, die man in solch einer Situation hören will, andererseits kenne ich die Geschichte schon – der Kandidatwar ich damals. Und Jochen hat recht, es war kein Spaß.
    »Hascht du eigentlich schon gehört?«, fragt Jochen, als er die Spritze rausgezogen hat. »Alexander und Ilka haben sich getrennt.«
    »Aha«, sage ich. Ein »Das ist ja interessant« verkneife ich mir, die Ironie käme sicher nicht gut rüber im Moment, die Betäubung fängt bereits zu wirken an und in meinem Mundwinkel hängt der Absaugeschlauch.
    »Also, dass sie ihn damals noch zurückgenommen hat, na ja. Diesmal isch es endgültig. Wirkt es schon?«
    »A«, sage ich.
    »Na, wir warten noch ein Momentchen. Ich meine, bei mir hätte so einer keine zweite Chance gekriegt!«
    »Ei«, sage ich.
    »Genau«, sagt Jochen. »Na, dann wollen wir mal. Jenny, du saugst ab, und ich punktiere. Okay, bei drei. – Drei.«
    Irgendwas drückt, dann lässt der Druck nach.
    »Ja, gut. Pus, Pus. Saugen. Prima. – Nein, gib mal her.« Er nimmt das schnorchelnde Gerät und saugt selbst weiter. Und zwischen den schnorchelnden Geräuschen sagt er: »Weischt du eigentlich, wieso sie sich getrennt haben?« Er macht eine Kunstpause, als sollte ich laut »Nein, wieso? Sag es mir!« ausrufen, aber aus selbst ihm offensichtlichenGründen tue ich das nicht. Zudem hat es mich schon damals, als mir Beate von der ersten Trennung erzählte, nur minder interessiert, dass und weshalb sich die beiden getrennt hatten. Nun also schon wieder, na gut.
    »Sodele, fertig«, sagt Jochen und zieht den Schlauch aus dem Mund. Es tropft auf meinen Hals. »Einmal spülen bitte.«
    Ich spüle. Es schmeckt komisch. Ein bisschen nach Blut und Verwesung. Der zweite Schluck Wasser, den ich im Mund hin und her schiebe, ist schon besser.
    »So, damit ist es noch nicht wieder heil, aber ein Anfang ist getan.« Er zieht mich an der Schulter zurück in den Stuhl. »Und ich kann ja auch schlecht in den Eiter kautern, oder?«
    Kautern klingt nicht gut, denke ich.
    »Holst du mal den Kauterer, Jenny? Also, ich lege jetzt den Zahn frei. Und damit ich nicht schneiden muss, werde ich kautern.«
    »Aha.«
    »Das ist nicht schlimm, das tut nicht weh, du bischt ja noch betäubt, es riecht nur manchmal etwas unangenehm. Bischt du Vegetarier?«
    Was hat das denn jetzt damit zu tun?, denke ich.
    »Nein.«
    »Es riecht nämlich nach verbranntem Fleisch. Ah, danke schön.« Er nimmt einen kleinen Kasten in Empfang, mit einem Kabel und einer Art Lötkolbendran. »Das liegt daran, dass tatsächlich Fleisch verbrannt wird. Mit diesem kleinen elektrischen Draht. Aber wenn du kein Vegetarier bist, kennscht du das ja vom Grillabend.« Er steckt irgendwo einen Stecker rein und schaltet das Gerät an. Es brummt leise.
    »Sodele, Mund auf, entspann dich, nicht bewegen, na ja, kennscht du ja alles vom Zahnarzt. Ich mach auch schnell.«
    Machs lieber gründlich, denke ich und dann, als er mit dem Lötkolben anfängt, mein Zahnfleisch wegzubrennen, zischt es ein bisschen und riecht tatsächlich nach Grillfleisch. Eigentlich nicht schlimm. Nur der Gedanke, dass es sich hierbei um mein eigenes Fleisch handelt, was da wegbrutzelt, lässt mir nicht so sehr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Jedenfalls nicht aus Appetit, laufen tut es trotzdem und wird abgesaugt. Das ganze Zischen und Brutzeln und Schnorcheln ist laut in meinem Kopf. So laut, dass ich nur fetzenweise etwas davon mitbekomme, was Jochen mir erzählt.
    »Jedenfallsch«, sagt Jochen in einer Kauterpause, »du kommscht net drauf, weshalb die beiden sich getrennt haben.« Er kautert weiter. Es brutzelt.
    Na, weil er fremdgegangen ist, wie beim ersten Mal, denke ich, so weit waren wir doch schon. Und sogar mit zwei Frauen.
    »Er ist fremdgegangen. Ich meine, ischt das zu fassen. Wir dachten ja nun wirklich, dass er dasnicht noch ein zweites

Weitere Kostenlose Bücher