Ansichten eines Klaus - Roman
Augenblick fühle ich mich sehr alt, und dann frage ich: »Was für eine zweite Frau?«
»Er soll mit noch einer zweiten Frau was gehabt haben«, sagt Jochen. »Stell dir vor. Aber wer? Da müsstest du schon Ilka fragen. Stimmt vielleicht auch nicht. Aber wenn du mehr rausfindescht«, er grinst, »sag Bescheid.«
»Na, wie war’s?« fragt Rolf, als ich wieder im Theaterklaus bin.
»Schön«, sage ich. »Wie immer.«
»Sieht auch schon besser aus«, meint er und deutet auf meine Backe.
»Sonst was Interessantes?«, lenke ich ab.
»Der Zigarettenauffüller war da und der mit den Postkarten. Ist schon wieder ein Neuer. Und drei Anrufe von Petra. Warum hast du denn dein Handy nicht an?«
»Beim Zahnarzt? Da kann ich doch sowieso nicht sprechen. Was Wichtiges?«
»Hat sie nicht gesagt«, sagt Rolf. »Aber wenn sie dreimal anruft – denke schon.«
Ich nicke und denke dabei: Es ist nie wichtig ...
»Hast du ihr gesagt, wo ich bin?«, frage ich.
»Sollte ich?«
Wäre vielleicht hilfreich gewesen. Zumindest für Petra.
Er zeigt vage in mein Gesicht. »Du hast da was ... am Mund.«
Ich fummle mir am Mund herum, da klebt was an der Unterlippe, ich habe blaue Gummikrümel zwischen den Fingern. Reste der Abdruckmasse. »Na, ich bin erst mal oben«, sage ich.
Oben pack ich mir eine Kühlpackung auf die Backe, hat Jochen zwar nicht empfohlen, aber schaden kann’s ja nicht. Dann rufe ich Petra an.
»Na, endlich. Warum rufst du nicht an?«
»Tu ich doch.«
»Wo warst du denn?«
»Bei Jochen.«
»Da kannst du doch anrufen.«
»Jochen ist mein Zahnarzt.«
»Ach so. Was ist denn?«
»Nichts Besonderes. Nur so. Ne Routinesache.«
»Eine Routinesache?«, fragt sie.
»Ja. Schon gehört? Alexander und Ilka haben sich getrennt.«
»Du bist gut. Was glaubst du denn, warum ich dich die ganze Zeit zu erreichen versuche. Ich bin gerade bei Ilka, die ist total runter. Mit heute Abend wird’s nichts. Ich bleib jetzt erst mal undübernachte auch hier. Und wegen morgen müssen wir dann sehen.«
»Ja, klar.«
»Tut mir leid. Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch.«
»Bis dann.«
Ich lege auf. Mir wäre heute Abend sowieso nicht nach Knutschen gewesen.
VOR EIN PAAR MONATEN
»Gebn Se dem Mann am Klavier, noch n Bier, noch n Bier«, singt der Mann am Klavier. Er singt tatsächlich: »Gebn Se dem Mann am Klavier, noch n Bier.« Ich kann es kaum glauben, dass er das tatsächlich singt. Der Satz rotiert mir in immer neuen Konstellationen im Kopf herum. Wenn das die Piaf wüsste, was die Deutschen aus ihrem schönen Lied gemacht haben. Und wenn das mal nicht der Tiefpunkt des Abends ist. Wenn jetzt nicht noch ein Laster zur Tür hereinfährt und dabei den Bräutigam tötet, könnte das durchaus der Tiefpunkt des Abends sein. Und selbst wenn jetzt ein Laster zur Tür hereinführe und den Bräutigam tötete, könnte es noch immer der Tiefpunkt des Abends sein. Jetzt wird natürlich auch schon mitgesungen, und einer der Gäste, ein etwas dicklicher, tippt mich an und ruft, und es klingt ein wenig wütend, als würde es um ihn selbst gehen: »Nu geben Se dem Mann am Klavier doch endlich sein Bier! Sie hören doch, dass er Durst hat!«
»Der hat noch«, sage ich und zeige auf das mehr als halbvolle Glas auf dem Klavier. Dass ich der Ex der Braut bin, verschweige ich, es geht ihn auch nichts an.
»Dann bringen Se mir eins«, sagt er.
Dacht ich’s mir doch.
Ich gehe rüber zu Rolf, der seit Stunden am Zapfen ist, sage: »Mach gleich noch eins«, und nehme eins der fertig gezapften vom Tablett, drücke das Manuela in die Hand, sage: »Bring mal dem«, und zeige auf den etwas dicklichen, dem, wie ich jetzt sehe, hinten schon die Haare ausgehen. Wie alt wird der sein? So wie ich? Dick. Halbglatze. Fettnacken. Na, Hauptsache, ein Beruf, in dem er was verdient.
»Du-hu«, fragt mich Petra vor ein paar Wochen. Sie ruft an, fragt, ob sie mich kurz sprechen könne, nein, nicht am Telefon, sie könne gleich bei mir sein, wenns mir passt, und es sei dringend. Dabei wissen wir beide, dass es nie dringend ist, wenn sie anruft. Wäre es wirklich dringend, würde sie es mir sofort am Telefon sagen.
»Du weißt ja, wo ich bin«, sage ich.
»Hm. Oben wär mir lieber«, sagt sie.
Gut, dann eben oben. Kaum bin ich in der Wohnung, da klingelt es.
»Bist du geflogen?«
»Ich war in der Nähe.«
Wahrscheinlich auf der Treppe zum Dachboden. Sie war noch nie einfach in der Nähe. Sie war nicht mal einfach in der Nähe, als wir noch
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