Anständig essen
völlig flach und einsichtig. In einigen Hundert Metern Entfernung fährt ein Auto vorbei. Der Scheinwerferkegel erfasst uns, und wir ducken uns an die Wand. Das Auto wird langsamer, hält aber nicht. Dann ist es vorbeigefahren.
Peter schiebt das Falltor ein Stück hoch, durch das die Hühner tagsüber ihren Auslauf erreichen, und Karsten und ich nehmen Taschenlampe und Funkgerät in die Hand, robben auf dem Bauch in den Stall hinein und sehen uns kurz um. Dann holen wir die anderen nach. Julius bleibt draußen und hält Wache. Der Bio-Stall ist ganz ähnlich eingerichtet wie der Bodenhaltungsstall, in dem ich das letzte Mal gewesen bin – bedrückend funktionelle und vermutlich auch nicht besonders bequeme Regale aus Drahtgitterrosten –, aber es sind viel weniger Hühner darin.
»Etwa die Hälfte, also 3000 statt 6000 Hühner pro Abteilung«, sagt Peter. »Das sind die Vorgaben bei Bio-Haltung.«
Mir kommt es vor, als wären es noch weit weniger Hühner, aber ich konnte schon immer schlecht schätzen. Platz ist hier jedenfalls nicht das Problem. Die Hühner sitzen in kleinen Gruppen nebeneinander. Etwa die Hälfte von ihnen wendet uns ihr Hinterteil zu. Das sieht übel aus: Splitternackt und teilweise in leuchtendem Pink. Bei einem Huhn stecken noch drei einzelne Federn im nackten Bürzel wie in der Perücke eines Faschingsindianers.
Man denkt ja immer, dass nur die Hühner auf Skandalhöfen so aussehen.
Dass sie aber selbst in Bio-Höfen so aussehen, darauf ist man nicht gefasst. Peter sagt, dass er in einem anderen Bio-Stall noch weit schlimmere Zustände entdeckt hat.
»Wenn du in eine Anlage kommst, die relativ sauber ist, und die Hühner haben noch fast alle Federn, dann liegt das nicht daran, dass sie dort besser gehalten werden, sondern daran, dass sie gerade erst eingestallt wurden. Ob Bodenhaltung, Freilandhaltung oder Bio-Haltung, ist eigentlich egal. Am Anfang sehen die überall gut aus, und du denkst: He, ist ja alles prima hier. Aber je länger die da drin sind, umso weniger Federn haben sie auch. Ganz gleich welche Haltungsform.«
Irgendwie scheint das nicht zu funktionieren – artgerechte Massentierhaltung. Hühner fühlen sich einfach nicht wohl, wenn sie zu Tausenden zusammengesperrt werden – egal, wie viel Platz sie haben. Es ist nicht erforscht, aber man geht davon aus, dass Hühner höchstens 30 bis (sehr optimistisch geschätzte) 100 Artgenossen auseinanderhalten können. Sind mehr von ihnen zusammengepfercht, kann sich keine Rangordnungbilden, was bedeutet, dass jedes einzelne Huhn hoffnungslos allein unter lauter fremden Hühnern ist und ständig wahllos aufeinander eingehackt wird.
Der Stallboden ist mit einer zentimeterdicken Schicht aus Kot und Staub, beziehungsweise zu Staub zerfallenem Kot, bedeckt, die an den Inhalt von Staubsaugerbeuteln erinnert. Als ich zwischendurch mal kurz meine Atemmaske vom Mund nehme, fegt mir der beißende Gestank wie eine scharfe Pastille durch die Bronchien.
»Der Ammoniak ist nicht das Gefährliche«, sagt Peter, »schlimmer ist, wenn du den Staub einatmest.«
Ich schlendere die dreckigen Gitterroste entlang. Mag ja sein, dass die Hühner sich überhaupt nicht daran stören, aber die industrielle Einrichtung dieser Anlage drückt ziemlich deutlich aus, als was Hühner hier gesehen werden – als Teile einer Maschinerie. Anfällige Teile. Immer wieder mal stoße ich auf ein totes Huhn.
»Ist aber doch wohl eher ein schlampiger Betrieb«, sage ich zu Peter, »die sammeln ja noch nicht einmal die toten Hühner ein.«
»Die sammeln garantiert die toten Hühner ein«, sagt Peter, »sonst würde das hier ganz anders aussehen. Die sammeln bloß nicht jeden Tag.«
Laut einer Veröffentlichung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz aus dem Jahr 2008 liegt die Sterblichkeitsrate für Hühner in Boden-, Freiland- oder Bio-Haltung bei 11,8 Prozent. Damit ist die Todesquote innerhalb eines Jahres gemeint, denn nach Ablauf des Jahres werden ja sowieso alle Hühner geschlachtet.
»In einer Halle mit 20 000 Hühnern sterben also im Schnitt sechs bis sieben Hühner täglich«, sagt Peter. »Wenn wir nachher rauskommen, finden wir garantiert noch eine Mülltonne, wo die drin sind.«
Ich zeige auf eine halb verweste, über und über mit Kot bekleckerte Hühnermumie.
»Na, den haben sie allerdings übersehen«, gibt Peter zu. Mein Funkgerät rauscht.
»Hier Delta. Eben hat jemand die Hallentür in der Nähe von mir
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