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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Robinien gekettet hatten, losgeflext wurden, weilte Ministerpräsident Stefan Mappus übrigens auf dem Stuttgarter Bauerntag, wo er unter anderem über die Notwendigkeit der Effizienzverbesserung in der tierischen Produktion sprach.
    Im Jahr 1730 schickte der Maharadscha von Jodhpur Soldaten nach Khejarli, um dort Khejri-Bäume für den Bau eines Palastes zu fällen. In Khejarli lebte allerdings eine Gemeinschaft der Bishnois, deren Religion neben dem Töten von Tieren auch das Fällen von Bäumen verbietet. Der Religions-Reformer Jambeshwar hatte diese Regeln neben 27 anderen vor etwa 500 Jahren für seine Gemeinde aufgestellt. Damals war das Land nicht nur von einer großen Dürre, sondern auch von Konflikten zwischen Hindus und Muslimen und den Rivalitäten verschiedener Kasten untereinander heimgesucht worden. Jambeshwar sah den Weg aus dieser verfahrenen Situation in einer Religion, die den Respekt nicht nur gegenüber Anhängern des eigenen Glaubens, gegenüber der eigenen Kaste oder gegenüber der eigenen Spezies, sondern grundsätzlich gegenüber jedem Leben verlangte und im Umgang mit der Natur auf Nachhaltigkeit setzte.
    Als die Holzfäller mit ihrer Arbeit beginnen wollten, klammerte sich die Bishnoi-Frau Amrita Devi an einen der Bäume, um sie daran zu hindern. Die Soldaten enthaupteten Frau Devi und kündigten an, mit jedem das Gleiche zu machen, der sich ihnen in den Weg stellen würde. Daraufhin umarmten die drei Töchter Amritas einen Baum und wurden prompt enthauptet. Nun nahmen Nachbarn und nach den Nachbarn Bishnois aus den umliegenden Dörfern Amritas Platz ein, bis schließlich 363 Bishnois – Männer, Frauen und Kinder – geköpft waren und der Maharadscha so erschüttert war, dass er versprach, die Gebote der Bishnois in Zukunft zu achten, und Jagd und Holzfällen in ihrem Gebiet verbot. Ob es nun so oder ganz anders war – dem Vorfall wird jedes Jahr als »dem großen Opfer von Khejarli« gedacht, und das Verbot des Holzfällens soll noch heute in Kraft sein.
    »Die Bishnois glauben, dass jemand, der bei der Verteidigung von Bäumen stirbt, damit automatisch einen Platz im Paradies erworben hat«, sage ich über die Zeitung hinweg zu Jiminy. Eigentlich war das mein Kommentar zu Stuttgart 21, aber Jiminy bezieht es mal wieder auf sich.
    »Ja, fein. Ich rühr hier sowieso nichts mehr an. Meinetwegen kann dein Garten völlig zuwuchern. Aber dir ist schon klar, was passiert, wenn wir die Ableger vom Essigbaum nicht rausreißen? Im nächsten Jahr wirst du hier einen Wald von Essigbäumen haben.«
    »Ach, lass doch die kleinen Essigbäume«, sage ich und bringe meine Bananenschalen zum Komposteimer unter der Spüle.
    »Wenn wir die Essigbäume in diesem Jahr nicht rausreißen … Im nächsten Jahr kommen wir da nicht mehr gegen an. Ist mir auch egal. Wenn du das so möchtest, lassen wir alles so, wie es ist. Ich rühr hier nichts mehr an. Aber dir ist schon klar, dass der Rasen völlig versauert von den ganzen Nadeln, die ständig von deinen komischen Koniferen rieseln? Wenn man nur die Hälfte von denen abschlagen würde …«
    Ich breite in aller Unschuld die Arme aus.
    »Die Baumbesetzerin Julia Butterfly Hill sagt, dass niemand einen Baum fällen dürfe, bevor er nicht mindestens ein Jahr auf einem gelebt habe.«
    Jiminy wirft mir einen bösen Blick zu.
    »Dann behalte doch deine hässliche Friedhofsbepflanzung.«
    »Mein Freund der Baum«-pfeifend gehe ich aus der Küche.
    Das Arktis-Eis ist auf seine drittkleinste Fläche seit Beginn der Messungen 1979 zusammengeschmolzen. Weniger Eisfläche gab es bloß 2008 und 2007. 1980 gab es noch fast doppelt so viel. US -Forscher schätzen, dass in 20 bis 30 Jahren die Arktis in den Sommermonaten komplett eisfrei sein wird.
    Es ist Nacht. Es ist dunkel. Wir tragen schwarze Kleidung, schwarze Mützen und schwarze Rucksäcke. Zu fünft gehen wir hintereinander her über einen Acker. Jiminy ist auch dabei. Diesmal wollen wir keine Hühner befreien, sondern bloß in die Halle einer Bio-Freilandhaltung einsteigen, um die Zustände dort zu filmen und das Material später einem Fernsehsender zuzuspielen. Das heißt, die Kameras übernehmen Karsten, Peter und Jiminy. Ich laufe bloß mit und stehe im Weg. Da wir in den nächsten Tagen noch in andere Betriebe einsteigen wollen, ziehen wir vor der Halle Einmal-Overalls an und setzen einen Mundschutz auf, um keine Krankheitserreger von einem Stall in den nächsten zu übertragen. Das Gelände rundherum ist

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