Anständig essen
starb der Neandertaler bereits lange vor dem Kälte-Maximum der Würm-Eiszeit aus. Seine Werkzeuge, Fingerfarben und sonstige kulturelle Hinterlassenschaften wurden lange Zeit an den Ausgrabungsstellen übersehen oder gleich dem Homo sapiens zugeschrieben. Allein die Tatsache, dass unsereiner immer noch existiert und der Neandertaler ausgestorben ist, gilt vielen schon als Beweis, dass wir die Intelligenteren gewesen sein müssen. Vielleicht hat dem Neandertaler seine Intelligenz aber auch bloß nichts genützt. Er könnte einfach Pech gehabt haben und an einem besonders heftigen Kälteeinbruch, einer Seuche oder an Nahrungsmangel gestorben sein. Oder sein geistig weniger bemittelter, aggressiver Verwandter, der Homo sapiens, könnte ihn mit einer Keule erschlagen und dabei »geschieht dem Klugscheißer recht« geknurrt haben. Vielleicht muss man sich einfach mal von der naiven Vorstellung lösen, dass sich im Laufe der Evolution immer das Beste durchsetzt, das Vornehmste, Vollkommenste und Klügste. Nicht einmal innerhalb der menschlichen Gesellschaft werden die entscheidenden Posten in Wirtschaft und Politik von den intelligentesten oder sozialsten Individuen besetzt. Als Tugenden einer Führungskraft im oberen Management gelten eher unbeugsameEntscheidungsfreude und robustes Selbstvertrauen, also Eigenschaften, die auch einem Mafia-Boss gut zu Gesicht stehen. Ein analytischer Kopf ist laut »Manager-Magazin«, Heft 11 von 2004, bloß Dreingabe, und irrational hohe Gehälter verstärken die Selektion hin zum Stamme Nimm.
Das Beste setzt sich durch? Wohl eher der größte Schweinehund, das aggressivste, gierigste, fruchtbarste, furchtbarste und gemeinste Tier – das angepassteste eben, das auch noch das Glück hat, nicht vorher zu verunfallen – destruktive Hominiden zum Beispiel und Dasselfliegen. Das Beste? Da ist längst ein Mammut draufgetreten.
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15
Oktober – frutarisch
»Ich trete für den Biozentrismus ein, die Idee, dass alle Arten des Planeten ein gleiches Lebensrecht haben.«
(Paul Watson, Mitbegründer von Greenpeace und Kapitän der Sea Shepherd)
»Nun sind wir alle dem rätselhaften, grausigen Schicksal unterworfen, unser Leben nur auf Kosten andern Lebens erhalten zu können und fort und fort schuldig zu werden.«
(Albert Schweitzer)
Vorgabe: Keine Gewalt gegen Menschen, Tiere und Pflanzen.
Boah! Fühle ich mich gut! Eine völlig andere Lebendigkeit, eine ganz andere Energie. Mir geht es großartig. Wie Popeye, nachdem er seine Büchse Spinat gegessen hat. Ich könnte den ganzen Tag nur rennen. Turnschuhe an, und ab in den Wald. Was ist los mit mir? Ich wollte in meinem ganzen Leben doch noch nie freiwillig laufen. Ich frage mich, was das eigentlich für ein Quatsch ist, auf Pferden zu reiten. Laufen bringt doch viel mehr Spaß. Endlich weiß ich, was diese Rohköstler meinen, wenn sie vom »Gipfel unbändiger Gesundheit« schwärmen. Ein Körper mit »sauberen Kräfteströmen« wirdeben einfach nie müde. Die Speisekarte eines Frutariers finde ich zwar immer noch nicht wirklich berauschend, aber Essen ist ja nicht alles. Und wenn sich Frutarier ständig so fühlen wie ich mich gerade … – ich glaub’s ja nicht, jetzt werde ich am Ende noch Frutarier.
Als ich vom Dauerlauf zurückkomme, sitzt Jiminy schon beim Frühstück und liest Zeitung. Ich lege mir Weintrauben und zwei Bananen auf den Teller und nehme mir einen Zeitungsteil. Im Stuttgarter Schlossgarten sind unter Polizeischutz die ersten Bäume für das Bahnprojekt Stuttgart 21 gefällt worden. Bei der Demo am Abend zuvor hat die Polizei gezielt Tränengas und Wasserwerfer eingesetzt und 400 Demonstranten verletzt. Die meisten von ihnen nur leicht, aber ein Polizist hat so gut getroffen, dass er dem Rentner David Wagner mit dem Wasserwerfer die Augäpfel aus dem Schädel gewühlt und ihn womöglich für immer blind gemacht hat. Innenminister Heribert Rech sieht die Schuld bei den gewaltbereiten Stuttgarter Mittelstandsbürgern, Schülern und Rentnern, die mit Kastanien geworfen haben. Die Polizei brach ihnen im Gegenzug diverse Nasen. Krimi-Autor Wolfgang Schorlau hat mit angesehen, wie »ein Beamter […] einer etwa 15-Jährigen mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen« hat. Die frühere Ver.di-Landesvorsitzende Sybille Stamm wurde von Polizisten eine Böschung hinuntergeworfen und getreten. Während die Robin-Wood-Aktivisten von den Bäumen geholt und die Parkschützer, die sich an die uralten Buchen, Ulmen oder
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