Anständig essen
Menschen ertrinken.
Huhn erholt sich gut, trägt inzwischen einen grünen Verband und heißt jetzt Rudi. Einmal am Tag träufeln wir Rudi seine verschiedenen Medikamente in den Schnabel. Manchmal balanciert er schon auf einem Bein und stützt sich auf der anderen Seite mit der Flügelspitze ab. Leider entpuppt sich Rudi auch als Nervensäge. Je besser es ihm geht, umso mehr krakeelt er herum. Auch, als mir Jiminy beim Frühstück aus der Zeitung vorlesen will. Jiminy hält kurz inne und wartet, dass Rudi fertig wird. Aber Rudi gackert und quakt ununterbrochen und zunehmend lauter vor sich hin. Schließlich reicht mir Jiminy die Zeitung über den Tisch und zeigt auf den Artikel: Wie sich herausgestellt hat, hätte die Bahn am 1. Oktober tatsächlichkeine Bäume im Stuttgarter Schlossgarten fällen lassen dürfen. Es gibt nämlich einen Brief des Eisenbahnbundesamtes, aus dem hervorgeht, dass bedrohte Juchtenkäfer und Fledermäuse in den alten Baumstämmen leben. Das Schreiben hat man aber lieber in der Schublade versteckt, statt es dem Stuttgarter Verwaltungsgericht vorzulegen. Rudi unterbricht jetzt endlich seinen penetranten Monolog, um nach Kater Simbo zu hacken, der am Meerschweinchenkäfig entlangschnürt.
»Simbo hat immer noch diese Krusten im Fell«, sagt Jiminy. »Wie lange kriegt er jetzt schon wieder das normale Futter?«
»Lange genug. Mit dem veganen Futter hatte das anscheinend gar nichts zu tun.«
Wir sehen uns an. Im Grunde müssten wir jetzt einen neuen Anlauf starten und die beiden Kater wieder an ihr veganes Futter gewöhnen. Oder anderes veganes Futter anbieten.
»Wenn, dann musst du das tun«, sagt Jiminy. »Ich habe keine Lust mehr, jeden Tag die Schweinerei in den Näpfen wegzumachen.«
»Ich auch nicht«, sage ich. »Ich habe dazu jetzt einfach nicht die Energie. Wir füttern weiter Fleischdosen – und ab dafür.«
Die Phase, in der ich vor Kraft nur so strotzte und ständig durch den Wald rennen wollte, ist leider schon wieder vorbei. Jetzt bin ich genauso schlapp wie vorher. Vielleicht sogar noch schlapper. Trotzdem setze ich mein Asthma-Mittel ab. Je achtsamer ich meine Nahrungsmittel aussuche, desto mehr stößt es mir auf, ständig ein Medikament einzunehmen, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an Tieren getestet worden ist. Allein in Berlin ist die Zahl der Versuchstiere von 367 000 imJahr 2008 auf 380 000 im Jahr 2009 gestiegen. Wenn ich in den nächsten Wochen blau anlaufe, kann ich ja wieder auf mein Spray zurückkommen, aber ich will doch wenigstens versuchen, ob es nicht ohne geht.
Das wird ja allen Ernstes immer wieder als Argument für Tierversuche benutzt: dass wir die Tierversuche brauchen. Natürlich, viele von uns wären ohne die Medikamente und Erkenntnisse, die durch solche Versuche gewonnen wurden, schon längst tot. Ich vielleicht auch. Aber beweist das, dass Tierversuche ethisch zu rechtfertigen sind? Oder beweist das bloß, dass wir großen Vorteil davon haben. Kann man überhaupt noch von Moral und Ethik sprechen, wenn so handfeste Interessen im Spiel sind?
Dieses ständige Unterscheiden zwischen erstklassigen und zweitklassigen Lebewesen. Moralisch ist das absolut minderbemittelt. Anständigkeit ist eine grundsätzliche Haltung. Sie kann nicht nur auf einige Auserwählte begrenzt, an Bedingungen geknüpft oder für besondere Gelegenheiten aufgespart werden, sondern muss immer und für alle gelten – auch dann, wenn es lästig oder mit Nachteilen verbunden ist. Gerade dann.
Die grundsätzliche Anständigkeit und Gewaltlosigkeit gegen jedes Lebewesen, auch gegen Pflanzen und die allerkleinsten Geschöpfe, steht im Mittelpunkt des Jainismus. Die in Indien beheimatete Religion hat etwa zehn Millionen Anhänger und ist eine der ältesten Religionen der Welt. In Deutschland ist sie trotzdem kaum bekannt. Ajit Benadi, Vorsitzender der deutschen Jainis-Vereinigung, wohnt in Henstedt-Ulzburg bei Hamburg. Das ist zufällig gerade mal 20 Kilometer von meinem Elternhaus entfernt. Ich kann nach meinem Besuch bei HerrnBenadi also auch noch bei meinen Eltern vorbeischauen und deren neue Couchgarnitur besichtigen.
Im Mittelpunkt der Jain-Philosophie steht wie gesagt »Ahimsa«, was allgemein mit Gewaltlosigkeit übersetzt wird. Ahimsa hat Ghandi zu seiner Idee des gewaltlosen Widerstands inspiriert.
»Aber das ist nicht alles«, sagt Herr Benadi, »Ahimsa ist größer. Es beinhaltet auch, nicht zu lügen, nicht zu stehlen und nicht zu
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