Anständig essen
geöffnet. Wart ihr das?«
Delta ist der Funkname von Julius, der draußen Wache schiebt. Peter ist Alpha, und ich habe mir der Abwechslung halber den Funknamen Calimero gegeben.
»Hier Calimero. Keine Sorge, das war Karsten, ist gerade wieder reingekommen.«
Karsten, der mit Jiminy zusammen die Regale entlanggeht und filmt, wirft mir einen entnervten Blick zu.
»Sag doch gleich noch den Nachnamen und die Adresse!«
»Hier Delta«, meldet sich Julius wieder. »Da bin ich aber erleichtert. Hab eben fast einen Herzanfall gekriegt. Hier draußen sind übrigens noch drei Mülltonnen mit toten Hühnern.«
Karsten ist inzwischen in die Hocke gegangen und filmt unter den Regalen. Plötzlich schreit er auf.
»Oh, nein!«
Jiminy beugt sich ebenfalls hinunter.
»Oh, nein!«
Als Peter und ich dazukommen, hat sich Karsten bereits der Länge nach in den mulligen Dreck gelegt und kriecht unter das Regal. Ein Huhn hängt kopfüber von einem der Gitterregale herunter und flattert schlapp. Ein Fuß ist in dem Metallrost verklemmt, der andere krallt verzweifelt in die Luft. Karsten hat sich jetzt, Staub vor sich herschiebend und das Gesicht wenige Zentimeter über dem Boden, bis zu dem Unglücksvogel vorgearbeitet und hakt den Fuß aus dem Metall. Das Huhn in beiden Händen, robbt er auf den Ellbogen zu uns zurückund legt es auf den Boden. Das Bein sieht nicht gut aus. Es könnte ausgerenkt sein. Oder gebrochen.
»Den nehmen wir mit«, sage ich.
»Ich finde nicht, dass man ein Huhn, das wahrscheinlich sowieso stirbt, in seinen letzten Stunden auch noch quälen muss«, sagt Karsten.
Das Huhn liegt flach wie ein Pfannkuchen im Dreck und macht leise »gluck«.
Wir stimmen basisdemokratisch ab, und das Huhn kommt mit. Weil es draußen kalt ist, opfert Karsten seinen Pullover, und Jiminy trägt es darin über die Äcker und einen Maschendrahtzaun hinweg zum Auto.
Am nächsten Morgen fahren Jiminy und ich in eine Tierklinik. Ich tue natürlich so, als wäre es mein eigenes Huhn. Ist es jetzt ja auch.
»Wie heißt es denn?«, will der Tierarzt wissen.
»Äh … Huhn …«, sage ich.
Huhn wird geröntgt und bekommt einen Verband mit einem leuchtend blauen Tape drum herum. Das Bein ist tatsächlich gebrochen. Aber mit etwas Glück könnte es zusammenheilen, ohne dass operiert werden muss. Das ist sogar ziemlich wahrscheinlich. Wir kriegen einen Haufen Medikamente, Futterzusätze und Salben in die Hände gedrückt.
»Huhn?«, fragt Jiminy, als wir wieder im Auto sitzen.
Über Julius habe ich Kontakt zu einem weiteren Frutarier bekommen, zu Bert. Wir telefonieren.
»Frutarier bin ich im Jahr 2000 geworden, als ich mir Gedanken über das Leben der Pflanzen machte. Dabei bin ich dann zu der Auffassung gekommen, dass auch Pflanzen ein unversehrtes Leben führen sollten. Vorher lebte ich vegan.«
Bert isst Obst, Gemüsefrüchte, Samen, Nüsse, Pilze, Getreide und Getreideprodukte wie Nudeln und Gebäck. Außerdem versucht er, den Konsum von Holzprodukten auf ein Minimum zu reduzieren. Seinen Eltern hat er nicht gesagt, dass er Frutarier ist. Die haben sich schon so viele Sorgen gemacht, als er Veganer wurde. Die haben sich bereits Sorgen gemacht, als er Vegetarier war.
»Du isst Pilze?«, sage ich. »Pilze sind doch noch viel näher mit dem Menschen verwandt als Pflanzen.«
»Das, was man allgemein als Pilze bezeichnet, die Champignonköpfe, das sind die Fruchtkörper, die der Pilz bildet, um seine Sporen zu verteilen. Der eigentliche Organismus, der Myzel, befindet sich in der Erde oder im Baum.«
»Bist du sicher? Ich habe jetzt wochenlang keine Pilze gegessen, weil ich dachte, ich darf nicht. Und kein Getreide. Bei der Getreideernte wird doch die Pflanze zerstört, also darf man die meines Wissens gar nicht essen.«
»Bevor das Getreide geerntet wird, ist die Getreidepflanze gelb und trocken, schon gestorben. Ich glaube, das Ernten tötet darum die Pflanze nicht«, sagt Bert. Die Meinung hat Anko Salomon ja auch schon vertreten. Wenn die beiden recht haben, bedeutet das, dass ich die ganze Zeit Spaghetti und Kekse hätte essen können statt immer nur Erbsen und Bohnen und Bohnen und Erbsen. Ich will Bert fragen, ob er es nicht als problematisch ansieht, Getreide zu essen, wegen der Umweltbeeinträchtigungen durch Monokulturen, die damit einhergehen, und wegen der 90 000 Rehkitze jedes Jahr im Mähdrescher. Aber dann lasse ich es bleiben. Ich habe Angst, dass er es sich womöglich zu Herzen nimmt und dann meinetwegen
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