Anständig essen
muss ich mir irgend so eine fiese, zuckerhaltige Bio-Cola suchen.«
Giemend trete ich gegen den Küchenschrank. Bulli, Simbo und Freddy, die es sich zusammen auf dem Sofa gemütlich gemacht haben, schauen erstaunt hoch. Ist doch aber auch wahr! Wenn stinkreiche Konzernmanager es noch nicht einmal auf die Reihe kriegen, das Lebensrecht ihrer gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter in Kolumbien zu achten, wie soll man da von sorgengeplagten Hartz-IV -Empfängern erwarten, dass sie sich Gedanken um die Haltungsbedingungen von Hühnern und Schweinen machen?
Apropos Haltungsbedingungen: Im Hühnerstall sitzt immer noch das letzte lebende Huhn, einsam und von fast allen Umweltreizen abgeschnitten wie Kaspar Hauser. Iso-Haft ist Folter. Aber solange der Fuchs weiterhin am helllichten Tag durchs Dorf streift, kann ich das Huhn nicht rauslassen. Und solange so viel Schnee liegt, kann ich auch kein Gehege bauen. Und solange die Haltungsbedingungen so schlecht sind, mag ich kein zweites Huhn zur Gesellschaft kaufen. Möglicherweise ist meine Form der Geflügelhaltung noch schlimmer als diein den Massenbetrieben. Da haben die Hühner wenigstens Gesellschaft. Und warm ist es da auch. Der Wetterbericht hat für die kommende Woche Nachttemperaturen bis minus achtzehn Grad angekündigt. Ich muss mir dringend etwas einfallen lassen.
Die nächsten Tage bin ich unglaublich müde. Dabei sind meine Laborwerte völlig in Ordnung. Ich stecke bis zum Rand voll mit Eisen, und Diabetes habe ich auch noch nicht. Bloß die Cholesterinwerte sind zu hoch. Komisch, ich dachte immer, erhöhten Cholesterinspiegel, so etwas hätten nur Männer. Ich bin so müde, dass ich vom Schreibtischstuhl kippen könnte.
»Ganz ruhig. Du bist bloß auf Entzug, das geht vorbei«, sagt Jiminy.
Es ist mir ein Rätsel, wie diese Gesundheits-Apostel ohne eine anständige Cola auskommen. Wahrscheinlich schlappen sie alle Kaffee. Bio-Kaffee – fair gehandelt und schmerzarm geröstet – gibt es in tausend Varianten. Ich mag aber keinen Kaffee. Also versuche ich mir einzureden, dass ich mich auch ohne Koffein konzentrieren könnte. Ich starre auf den Bildschirm vor mir, versuche den Sinn hinter den Wörtern zu begreifen, aber nach kurzer Zeit gleiten meine Gedanken ab, und ich überlege mir stattdessen, wie ich Zahlen schreiben könnte, wenn ich nur eine Tastatur mit Buchstaben zur Verfügung hätte. Für die Eins könnte ich das große I nehmen, und die Null ist natürlich ein O. Zwei ist Z. Ich frage mich, ob die Zahl Zwei deswegen mit Z anfängt, weil das Z wie eine Zwei aussieht. Schluss damit, ich muss mich wieder auf den Text konzentrieren. Das E sieht wie eine umgedrehte Drei aus, aber es gibt keinen Buchstaben, der dem vertrackten Aufbau der Vier ähnelt. Am ehesten vielleicht noch das H … Ich gebe esauf und rufe erst einmal meinen Steuerberater Guido an und frage, ob ich die Mehrkosten für Bio-Lebensmittel nicht von der Steuer absetzen kann. Schließlich bin ich ja gezwungen, das teure Zeug zu essen, weil ich doch ein Buch darüber schreiben muss. Guido ist nicht sehr zuversichtlich, rät aber, für alle Fälle die Kassenzettel aufzuheben. Nach dem Telefonat frage ich mich, ob es überhaupt fair wäre, mir vom ohnehin schon gebeutelten Steuerzahler auch noch meine Fehlernährung finanzieren zu lassen. Wenn ich mich ausgewogen ernähren, also viel Obst und Gemüse essen würde wie all die jungen, gesunden Menschen, die ich in der Bio-Company gesehen habe, nicht öfter als ein- oder zweimal die Woche Fleisch und ab und zu mal ein Stück Kuchen oder eine Tafel Schokolade, dann würden meine Mehrkosten für Bio-Lebensmittel vielleicht 20 Prozent ausmachen. Da ich aber überwiegend Fertiggerichte, viel Fleisch und Käse und vor allem ständig Kekse und Schokolade esse, liegen meine Mehrkosten nahe 100 Prozent.
»Bio-Lebensmittel – kann ich mir gar nicht leisten«, ist in Zeiten von Hartz IV ja ein oft gehörtes Argument. Den Menschen sind die Tiere nicht egal, aber sie wollen für deren Wohlergehen auch nicht bezahlen. In Borneo soll es Anhänger eines kannibalistischen Kults gegeben haben, die anlässlich des Tiwa-Festes jedes Mal sechs Sklaven zu Ehren eines Verstorbenen verspeisten. Im 19. Jahrhundert sollen sie dieser Sitte abgeschworen haben und dazu übergegangen sein, stattdessen sechs Büffel zu essen. Als die holländischen Kolonialisten, die vermutlich an der Entwicklung dieser neumodischen ethischen Bedenken nicht ganz unbeteiligt waren, sie
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