Anständig essen
hat die Flüssigkeit mit einer Spritze herausgeholt und zuerst sah es aus, als hätte es damit nichts weiter auf sich.
Bulli und ich fahren zur Tierklinik. Dr. Lenzke sticht wieder eine Spritze in das Serom und zieht das Wundwasser heraus. Eine mühsame Angelegenheit. Mehrmals muss die Spritze von der Nadel gezogen und ausgeleert werden. Wenigstens scheint es Bulli nicht wehzutun. Er steht auf dem Behandlungstisch und hechelt gestresst, aber das liegt vor allem daran, dass er Höhenangst hat. Dr. Lenzke will eine Probe des Sekrets einschicken, um Klarheit zu gewinnen, ob wieder ein Tumor gewachsen ist. Das Wort »austherapiert« fällt. Wenn in Bullis Bauch ein neuer Tumor wächst, wird das Serom wieder volllaufen und wieder und wieder, und Bulli wird sich quälen. »Wir haben jetzt schon so oft operiert. Ein viertes Mal sollten wir ihm das nicht antun«, sagt Dr. Lenzke.
»Es ist schwierig, für jemand anderen über Leben und Tod zu entscheiden«, antworte ich.
»Sie kennen Ihren Hund doch gut. Sie werden es merken, wenn er nicht mehr will. Wenn er nicht mehr frisst – das ist eigentlich immer ein deutliches Zeichen.«
Als ich später am Empfang stehe, um zu bezahlen, kommt meine Lieblings-Tierarzthelferin, Frau Parton, vorbei. Frau Parton dürfte Anfang oder Mitte zwanzig sein. Als ich in diesem Alter war, habe ich alle meine Lebensenergien darauf verwendet, in Diskotheken zu gehen, cool auszusehen und zu anderen so gemein wie möglich zu sein. Deswegen macht es mich jedes Mal ganz fertig, wenn ich mitbekomme, wie liebevoll und Anteil nehmend Frau Parton zu ihren tierischen Patienten und deren Besitzern ist. Sie fragt mich, ob es Bulli besser geht. Prompt schießen mir die Tränen in die Augen und ich kann nur mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf schütteln.
»Ach, der Arme. Das hat er nicht verdient«, sagt Frau Parton bekümmert.
Auf der Rückfahrt halte ich an einer Tierhandlung. Eigentlich müsste ich das Hunde- und Katzenfutter allmählich mal auf Bio umstellen – aber nicht heute. Heute kaufe ich Bullis Lieblingsfutter, einen garantiert nicht nach Demeter-Richtlinien erzeugten Sack Frolic. Außerdem kaufe ich einen riesengroßen, doppelstöckigen Meerschweinchenkäfig.
Wir haben den Käfig im Flur aufgebaut. Hinter den Gitterstäben sitzt ein überdimensionierter Ziervogel – das letzte lebende Huhn.
»Wie der Piepsi«, sagt Jiminy. Neulich haben wir im Kino den Film »Das weiße Band« gesehen, in dem ein Kanarienvogel namens »der Piepsi« mitspielte. Obwohl der Kanarienvogel im Film ein schreckliches Endenahm, heißt das letzte überlebende Huhn bei uns ab jetzt nur noch »der Piepsi«. Der Piepsi läuft seinen einen Meter langen und 50 Zentimeter breiten Käfig ab, scharrt im Vogelsand, frisst ein paar Körner und inspiziert sein neues Domizil. Jiminy hat den Zwischenboden des Meerschweinchenkäfigs zur Hälfte herausgesägt und die verbliebene Hälfte mit einer Wolldecke zugehängt, so dass der Piepsi in 50 cm Höhe auch noch über ein Legenest verfügt, obwohl er schon seit Wochen kein Ei mehr gelegt hat. Auf der anderen Seite habe ich ihm eine Sitzstange für die Nacht montiert. So übel sieht das gar nicht aus – oder doch?
Ich kratze mich sorgenvoll am Kopf.
»Erst boykottiere ich Produkte aus Massentierhaltung, und nun hab ich selber ’ne Legebatterie im Haus.«
»In den Legebatterien stopfen sie fünf Hühner in so einen Käfig«, sagt Jiminy. Schwer vorstellbar. Ein zweites Huhn würde vielleicht noch gehen, wenn die beiden gut miteinander auskämen. Ein drittes Huhn wäre schon richtig gemein. Allerdings habe ich das mit den fünf Hühnern in einem Käfig auch gelesen. Ich schaue noch einmal im Internet nach, um mich zu vergewissern: In der gewerblichen Legehennenhaltung halten sie die Hühner tatsächlich zu fünft in einem Käfig. Allerdings misst so ein Käfig bloß 50 mal 50 cm, ist also nur halb so groß wie der vom Piepsi. Schock! Das geht doch überhaupt nicht. Jemand, der so etwas tut, ist nicht ganz dicht. Oder bösartig. Aber vorgeschrieben ist schließlich bloß eine Fläche von 550 qcm pro Vogel – das berühmte DIN -A4-Blatt. Wenn man die dritte Dimension dazurechnet, ist der Platz für fünf Hennen sogar nur ein Viertel so groß wie der, den der Piepsi zur Verfügung hat. Die Drahtkäfige sind nämlich nur 40 cm hoch, dafür aber in vier bis acht Etagen übereinandergestapelt. Legenest und Sitzstange – Fehlanzeige. Boden zum Scharren gibt es auch nicht. Die
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