Anständig essen
können, worin nun der Unterschied zu anderem Wasser bestehen soll.
»Irgendwie weicher und lebendiger«, versucht es Jiminy.
Der Curry-Ketchup ist allerdings ein Fehlkauf. Das habe ich aber schon geahnt, als ich die kleine Flasche in mein Weidenkörbchen tat. Curry-Ketchup in Glasflaschen aus dem Bio-Markt – das kann gar nicht schmecken. Bio-Produzenten haben den Ehrgeiz, frische, fruchtige, natürlich schmeckende Lebensmittel zu liefern, was bei der Herstellung von Tomatenketchup ganz in Ordnung ist, bei Curry-Ketchup aber völlig an der dahinter steckenden Geschmacks-Idee vorbeigeht. Guter Curry-Ketchup ist von einer zähen, pampigen Konsistenz, sieht aus wie geronnenes Blut und ist eigentlich nur an Imbissbuden zu bekommen, wo er bereits seit mehreren Tagen in einem unverschlossenen 10-Liter-Eimer neben der Fritteuse gestanden haben muss. Dadurch sind einige Spritzer alten Frittierfetts in ihm gelandet, die seine natürliche, knapp an die Schmerzgrenze gehende Schärfe auf das Angenehmste dämpfen. Da brauchen die Wolfram Siebecks dieser Welt jetzt gar nicht die Nase zu rümpfen – bei Curry-Ketchup handelt sich um eine respektable und kulturell bedingte Vorliebe der indigenen deutschen Bevölkerung, so wie der Isländer seinen Happen verwesten Haifisch schätzt und der Chinese gern mal einen Brocken Vogelspucke in Form eines Schwalbennestes verputzt. Ich kenne nur eine einzige Ketchup-Marke, der es gelingt, dem Geschmack des Imbissbuden-Ketchups nahezukommen, und zwar handelt es sich um den in einer abstoßend hässlichen 1-L-Plastikflasche gelieferten »Curry-Ketchup extra scharf« der Hamburger Firma »Hela«.
Jiminy schlägt vor, einen Ausritt zu machen. Begeistert bin ich nicht. Ich fühle mich immer noch ständig so müde. Außerdem ist mein Maultier noch nicht richtig eingeritten. Es macht im Grunde, was es will, und die weiten weißen Flächen der verschneiten Felder laden zum Durchgehen geradezu ein. Schnee, nichts als Schnee. Aber in Mexiko ist das Wetter auch nicht besser: Regengüsse, die bis zu 48 Stunden lang anhalten. 30 Menschen sind schon in den Überschwemmungen umgekommen. Dabei beginnt die Regenzeit in Mexiko eigentlich erst im Mai. Dann doch lieber Eiszeit. Ich sattle Bonzo. Jiminy steigt auf den Schimmel Torino und reitet vor mir her, damit mein ungebärdiges Maultier sich ein Beispiel an dem ruhigen Pferd nehmen kann. Weit kommen wir nicht. Unter der obersten Schneeschicht hat sich Eis gebildet. Torino gerät in Schräglage. Die beiden linken Hufe rutschen unter dem Körper weg, und dann fällt er mit Karacho auf die Seite, alle vier Beine in der Luft. Jiminy ist geistesgegenwärtig abgesprungen.
»Unglaublich«, sage ich, »damit könntet ihr bei ›Pleiten, Pech und Pannen‹ auftreten. Ich steige ebenfalls ab. Verletzt hat sich niemand, aber zurück gehen wir trotzdem lieber zu Fuß.
Jiminy hat erst einmal genug von verschneiter Natur und fährt wieder nach Berlin. Ich fahre nach Buckow ins Kino. Wenn ich allein zu Hause sitze, fehlt mir der Bulli zu sehr. Es gibt einen Film über Coco Chanel. Aber außer mir ist niemand gekommen, und der Film wird erst bei mindestens zwei Zuschauern gezeigt. Schließlich löse ich einfach eine zweite Eintrittskarte und gönne mir eine Privatvorstellung. Und da ich, wenn ich unterwegs bin, auch konventionell hergestellte Lebensmittel essen darf – solange es sich nicht um Fleisch handelt –, kaufe ich mir auch noch eine Tüte M&M’s und eine Flasche Coca-Cola light. Ah, endlich wieder eine schöne, eiskalte Cola. Damit kann es doch das weichste und lebendigste Wasser aus den tiefsten Tiefen nicht aufnehmen. Glücklich schlurfe ich zu meinem Kinosessel. Und erst als ich vor der Leinwand Platz genommen habe, fällt es mir siedend heiß wieder ein: Ich trinke doch nichtbloß deswegen keine Coca-Cola, weil die Zutaten nicht bio sind, sondern vor allem deswegen, weil die Firmenleitung in Kolumbien verdächtigt wird, Killer auf Gewerkschaftler angesetzt zu haben. Auch wenn meine Bio-Phase vorbei ist, werde ich keine Coca-Cola mehr trinken. Ich werde nie mehr Coca-Cola trinken. Wieso denk ich da nicht dran? Wie kann man so etwas vergessen? Dabei ist es mir nicht ein einziges Mal passiert, dass ich im Supermarkt aus Versehen ein Produkt ohne Bio-Siegel gekauft hätte. Ist es womöglich leichter, von außen auferlegte Regeln einzuhalten, als die, zu denen man durch eigene Überzeugung und Einsicht gelangt ist? Aber das Kind ist ja nun in den Brunnen
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