Anständig essen
gefallen, die Cola bezahlt, der Konzern unterstützt und in seiner Vorgehensweise bestätigt, da nützt es überhaupt nichts, wenn ich sie jetzt wegschütte. Und zack ist der Gedanke zur Seite geschoben, und ich kann den Film und die Cola problemlos genießen. Wie sagte noch gleich Hannah Arendt: »Die größten Verbrecher sind die, die das Denken verweigern.«
Zwei Monate Bio-Ernährung sind beinahe um. Ich habe eine Menge Zeitschriftenartikel und Bücher zum Thema gelesen. Ehrlich gesagt, finde ich nicht, dass die Tierhaltung in der Bio-Landwirtschaft gut genug ist. Sie ist besser, ganz klar, aber dass Grasfresser auf der Weide stehen und Gras fressen ist für mich keine bemerkenswerte Innovation, sondern die Mindestvoraussetzung. Darüber, dass Tiere an die frische Luft gehören und auch mal die Sonne sehen dürfen und dass man sie nicht aus Profitgier misshandeln darf, braucht unter emotional intakten Menschen doch wohl nicht ernsthaft diskutiert zu werden. Wenn ich mir ein Tier halte, in der Absicht, es später irgendwann einmal zu schlachten, dann bin ich ihmauch verpflichtet. Dann schulde ich ihm ein richtig gutes Leben mit einer anregenden Umgebung, der richtigen Zahl Artgenossen, einer guten Suhle oder einem feinkörnigen Sandbad, mit abwechslungsreichem, leckerem Futter. Und ich schulde ihm eine Lebenszeit, die deutlich über der Lebenserwartung in freier Wildbahn liegt. Sehr deutlich. Natürlich ist es besser, wenn ein Huhn, statt in fünf Wochen in einem konventionellen Masthähnchenstall die sogenannte Schlachtreife zu erlangen, drei Monate lang in einem Stall mit Sitzstangen und Grünauslauf gemästet wird. Aber was sind denn drei Monate? So ein Huhn hat noch nicht mal alle Jahreszeiten kennengelernt. Man kann doch nichts töten, was noch gar nicht richtig gelebt hat. Und ich schulde ihm einen guten Tod ohne Angst und Schmerzen.
Aber auch bei der besten Haltung, dem kürzesten Transport zum Schlachthaus und der humansten Schlachtung stehe ich bei Bio-Fleisch vor einem logischen Widerspruch. Wenn es nicht in Ordnung ist, Tiere zu misshandeln, wie kann es dann in Ordnung sein, sie zu töten? Das ist doch noch viel schlimmer, als sie bloß zu quälen. Das Vorgehen in der industriellen Massentierhaltung ist schlüssig. Wenn ich schon vorher systematisch die Bedürfnisse eines Tieres ignoriert habe, wenn Schweine für mich bloß Kotelettplantagen sind, dann ist es auch nur noch ein kleiner Schritt, ihnen eins vor die Birne zu geben. Artgerechte Tierhaltung mit dem Ziel, das Tier irgendwann zu schlachten, ist ein Widerspruch in sich. Ich respektiere die Bedürfnisse eines Tieres nach Bewegung und frischer Luft, sorge für ausreichend Ruheplätze, das richtige Futter und die Möglichkeit zu sozialen Kontakten, werfe ihm noch einen Ball zum Spielen in den Auslauf, aber das Grundlegendste seiner Bedürfnisse, denWillen zu leben, ignoriere ich einfach. Ein Tier in einen zu engen Käfig zu sperren ist gemein, aber totmachen ist okay – oder was? Und umgekehrt: Wenn man dem wichtigsten Interesse eines Tieres, seinem Interesse zu leben, keine Aufmerksamkeit zu schenken braucht, wieso sollte man sich dann durch seine nachgeordneten Interessen zu irgendetwas verpflichtet fühlen? Wenn es kein Verbrechen ist, ein Tier zu töten, wieso sollte es dann ein Verbrechen sein, es in drangvoller Enge zu halten, ihm den Ringelschwanz oder den halben Schnabel abzuschneiden oder ihm in einem Versuchslabor eine Reihe Zähne zu ziehen, die Zähne durch Implantate zu ersetzen und diese Implantate dann absichtlich zu infizieren, bis die Bakterien den halben Kieferknochen weggefressen haben? Wenn ein Schwein sowieso dafür da ist, getötet zu werden, warum soll man nicht vorher noch ein paar Medikamente oder Dum-Dum-Geschosse daran ausprobieren? Wenn ich seinen Tod akzeptiere, akzeptiere ich im Grunde auch alles andere.
Als ich mich am letzten Tag des Februars auf die Waage stelle, kriege ich einen ziemlichen Schreck: vier Kilo zugenommen. Jawohl, auch mit Bio-Ernährung kann man fett werden. Man muss es sich nur leisten können.
Trotzdem will ich heute unbedingt noch ein Grillhähnchen essen, bevor ich morgen in meine vegetarische Ernährungsphase eintrete. Wenn überhaupt, dann ist ein Bio-Grillhähnchen natürlich nur in Berlin zu bekommen. Dort gibt es einen Imbiss von Neuland. Streng genommen verkaufen die Neuland-Schlachtereien gar kein Bio-Fleisch, weil Neuland-Tiere nicht zwingend mit Öko-Futter gefüttert werden. Aber
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