Anständig essen
zwölf Minuten betragen. Im Sommer stehen Gemüsekisten und ein Tisch aus Wurzelholz vor dem Laden und verleihen ihm das waldschratmäßige Ambiente, das mich bisher immer davon abgehalten hat, ihn zu betreten. Jetzt liegt hier wie überall sonst bloß Schnee und Eis. Zum Eingang geht es eine Stufe herunter, die Türglocke macht palim-palim, und ich stehe im angenehmen Halbdunkel eines klitzekleinen, völlig vollgestopften Ladens, dessen Naturholzregale auch noch die wenigen Fenster zustellen. Auf einem nassen Lappen klopfe ich mir die schneeverkrusteten Stiefel ab. Vom gegenüberliegenden Holztresen nickt mir ein jugendlicher Verkäufer zu, während er für eine Kundin Orangen in eine braune Papiertüte packt. Statt Einkaufswagen, mit denen man sowieso nicht zwischen den Regalen hindurch-, geschweige denn um die Ecken kommen würde, stehen links drei Weidenkörbchen, von denen ich mir einen über den Arm hänge, ganz wie Rotkäppchen auf dem Weg zur Großmutter. Da hinein tue ich nun all die guten, gesunden Dinge – schrumpelige Pastinaken, pralle Tomaten, eine Packung Salat, eine Spaghettisoße und ein Glas eingemachter Pflaumen. Das übersichtliche Warenangebot empfinde ich wieder mal als enorme psychische Entlastung. Das Glück der Beschränkung. Und die Gummibärchen-Tüten sind so klein wie zuletzt in meiner Kindheit, als es noch nicht üblich war, dass Kinder sich ganze Familienpackungen reinzogen. Der Preis von 2,99 Euro für das Pflaumenglas lässt mir allerdings kurz das Blut in den Adern gefrieren. Dann aber fallen mir die Tonnen von Zwetschgen und Pflaumen ein, die ich im letzten Herbst an den Wegrändern Brandenburgs an den Bäumen hängen sah. Kurz hatte ich damals in der Vorstellung geschwelgt, Hunderte von Einmachgläsern zu füllen, bis ich mir beim Discounter Netto den Preis für eingemachte Pflaumen ansah: 0,89 Euro – das lohnte sich beim besten Willen nicht. Kummervoll und tatenlos sah ich daraufhin zu, wie die violetten Früchte an den Bäumen verschimmelten, bis die ganze Gegend nach Gärung und Schnaps roch. Wenn ein Glas Pflaumen 2,99 Euro kostet, sieht die Sache natürlich schon ganz anders aus, und bei dem Gedanken an die nächste Pflaumensaison und die Schätze, die es zu bergen gilt, hebt sich meine Laune wieder. Ketchup brauche ich noch, und hier gibt es sogar Curry-Ketchup. In der Ecke stehenMineralwasser-Kisten. Kann Mineralwasser überhaupt ein Bio-Produkt sein? Ich beschließe, einfach den Verkäufer zu fragen, und packe noch ein paar Kekse, Joghurts, Schokoladentafeln, eine Fertigbackmischung für Zitronenkuchen, Hackfleisch und eine Tüte Kokos-Joghurt-Mandeln ein. Nach weniger als 20 Metern Einkaufsrundgang bin ich an der Kasse und kann meine Frage stellen. Hinter mir warten noch zwei Frauen mit ihren Weidenkörbchen. Beide in meinem Alter. Eine trägt Gummistiefel.
»Ja, nun ja«, sagt der junge Verkäufer, »also das St. Leonharder zum Beispiel«, er fasst meine Flasche an, »wird aus besonders großer Tiefe gefördert und ist deswegen auch besonders rein. Bis dorthin kommt keine Bodenverschmutzung.«
»Das ist aber durchaus umstritten, ob es gut ist, das Wasser aus so großer Tiefe zu holen«, mischt sich die Kundin hinter mir ein, die mit den Gummistiefeln. »Dort ist es ja starkem Druck ausgesetzt. Das ist ja auch im Haushalt schon das Problem, dass das Wasser bei uns durch die vielen engen Rohre und Leitungen gepresst wird und sich nicht ausbreiten kann. Deswegen soll man Leitungswasser ja immer auch zuerst in einen Krug füllen und einige Zeit stehen lassen, damit es sich wieder ausdehnt.«
Einen Moment lang muss ich sie mit offenem Mund angestarrt haben. Dann fange ich mich wieder.
»Und Fische«, frage ich, »die schwimmen doch einfach so im Meer herum. Da kann man doch eigentlich auch nicht von Bio oder nicht Bio sprechen. Da müsste es doch eigentlich egal sein, wo ich sie kaufe?«
Der Verkäufer zuckt ratlos die Schultern. »Ja … wenn die nicht aus Zuchtbetrieben stammen …«
»Man sollte aber sowieso nicht mehr so viel Seefischessen«, mischt sich die clevere Kundschaft wieder ein. Diesmal ist es die andere Frau. »Ich habe erst neulich eine Haaranalyse machen lassen. Alles voller Schwermetalle. Der Dorsch, den man hier in der Gegend kaufen kann, der wird in der Ostsee gefangen, direkt neben dem Hafen.«
»Außerdem sind die Fangmethoden brutal und rücksichtslos«, weiß die Frau in den Gummistiefeln. »Die Meere sind völlig überfischt. In 30 Jahren
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