Anständig essen
die Regeln zur Tierhaltung wurden vom Deutschen Tierschutzbund und dem BUND mitgestaltet und sind strenger als diein der Bio-Haltung. Rindern, Schweinen und Hühnern steht mehr Platz zu, Spaltenböden sind ganz verboten, und ganzjähriger Auslauf ins Freie ist vorgeschrieben.
Auf der Fahrt zum Imbiss kämpfen ein weißer und ein schwarzer Engel um meine Seele. Der weiße Engel will, dass ich umkehre. Er hält mir den Tod des Tieres vor Augen und sagt, dass der kurze triviale Genuss des gegrillten Fleisches dazu in keiner Relation steht.
»Hör nicht auf das sentimentale Gewäsch«, sagt der dunkle Engel, »wir essen jetzt erst mal schön Grillhähnchen. Noch darfst du das schließlich.«
»Wie kannst du nur«, sagt der weiße Engel. »Einen Tag, bevor du Vegetarierin wirst. Ein Staat, der sich entschließt, die Menschenrechts-Charta anzuerkennen, foltert einen Tag vor Inkrafttreten der neuen Gesetze ja auch nicht noch schnell mal so viele Gefangene wie möglich.«
»Grillhähnchen, Grillhähnchen«, sagt der schwarze Engel, und im Moment hat er leider einfach die besseren Argumente.
»Prima«, sagt der schwarze Engel, »jetzt nur noch die Oranienstraße hoch.«
Aber als wir ankommen, ist der Neuland-Imbiss geschlossen. Kurz nach Mitternacht – die Verpflichtung zum Bio-Konsum ist vorbei – gehe ich zu McDonald’s und kaufe mir einen Veggie-Burger. Gar nicht so übel.
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5
Mitgefühl – ohne Gefühl
»Das Mitleid bleibt immer dasselbe Gefühl, ob man es für einen Menschen oder für eine Fliege empfindet. Der dem Mitleid zugängliche Mensch entzieht sich in beiden Fällen dem Egoismus und erweitert dadurch die moralische Befriedigung seines Lebens.«
(Leo Tolstoi)
»Wenn ich über Schmerz rede, ist entscheidend: Tut es mir selbst weh oder jemand anderem.«
(David Foster Wallace: »Am Beispiel des Hummers«)
Wieso hatte es eigentlich nicht genügt, dass ich von den Zuständen in den industriellen Mastbetrieben wusste. Wieso hatte ich trotzdem immer wieder Qualfleisch – wie Jiminy es nannte – gekauft? Jedes Mal, wenn ich eine Hähnchenpfanne in meinen Einkaufswagen legte, musste ich ja nicht nur verdrängen, dass meinetwegen ein Tier getötet worden war, sondern auch, was für ein Leben es vorher hatte führen müssen. Bei all den Fernsehsendungen und Zeitschriftenberichten, die es darüber gab, kein ganz leichtes Unterfangen, sollte man meinen.
Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich kann nur spekulieren.
Erstens könnte es daran liegen, dass die Routine,Fleisch zu essen, schon von Kindheit an bei mir verankert war – lange bevor ich von den Grausamkeiten der Massentierhaltung erfuhr. Ich hatte schon Fleisch gegessen, bevor mir überhaupt klar war, dass es sich dabei um ein Stück totes Tier handelte. Gewohnheit ist eine Art Gehirnwäsche, in die man allmählich hineinschlittert, Tag für Tag, und die einem eine hervorragende Imprägnierung gegen das Denken verleiht. Na und, das habe ich schon immer so gemacht, und deswegen kann es nur richtig sein – an diesem Grundgefühl prallen die Argumente ab wie Wasser an der Ente. Zweitens kauften auch alle anderen Menschen im Supermarkt abgepackte Fleischbündel. Das bestätigte mich in dem Gefühl, dass das schon irgendwie in Ordnung ginge. Drittens hat das zerteilte Grillhähnchen in meiner Hand weder geschrien noch gezappelt. Viertens sind Kaufentscheidungen meistens keine Sache des Denkens, sondern des Fühlens und richten sich danach, ob die gleiche Wahl beim letzten Mal eine positive oder eine negative Konsequenz hatte. Grillhähnchenpfanne = lecker Abendessen, also wieder kaufen. Das ist hirnphysiologisch bedingt. Nur das limbische System der Großhirnrinde, das für die Gefühle zuständig ist, hat einen direkten Zugriff auf diejenigen Systeme in unserem Gehirn, die unser Handeln bestimmen. Das rationale kortikale System wird nur bei besonders wichtigen und komplizierten Fragestellungen zugeschaltet. Bewusstsein ist für das Gehirn eine anstrengende Energieverschwendung, weswegen es seine Supermarkteinkäufe mehr oder weniger in Trance zu erledigen pflegt. Aber wie schlimm muss denn die Massentierhaltung eigentlich noch werden, bis ich sie für wichtig genug erachte, mich davon stören zu lassen und den Verstand einzuschalten? Genügt es nicht, wenn Hähnchen in Quetschhaltung (39 kg pro qm) inihrem eigenen Dreck aufgezogen werden, sodass ihre Füße wund und ihre schweren, deformierten Körper von Kot verklebt und verätzt sind? Dass es
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