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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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nächsten Tag wirft er seinen Futternapf um. Am dritten Tag wirft er den Futternapf wieder um und kickt ihn vor sich her zur anderen Käfigseite. Dort dreht er um und kickt den Napf wieder zurück. Dann wirft er seinen Wassernapf um. Wissenschaftlich kann ich es natürlich nicht belegen, dass dieses Huhn sich unwohl fühlt und aus seinem Käfig will – es sieht nur ganz verdammt so aus. Obwohl ich fürchte,dass der Piepsi sofort stiften geht, um sich den Hühnern der Nachbarschaft anzuschließen, kann ich es irgendwann nicht mehr mit ansehen und setze ihn nach draußen. Sofort beginnt er, in den Beeten zu scharren und die sich eben aus dem Boden wagenden Pflanzen zu zerstören. Er scharrt und pickt, läuft ein paar Schritte, schüttelt sein Gefieder und scharrt und pickt und geht vollkommen in dieser Aufgabe auf. Flow nennt man diesen Zustand in der Psychologie, wenn ein kleiner Junge so darin versunken ist, ein Modellflugzeug zu bauen, dass er darüber Zeit und Raum vergisst. Man könnte auch sagen: Glück. Wissenschaftlich belegen kann ich es natürlich nicht, dass der Piepsi gerade wahnsinnig glücklich ist – es sieht nur ganz verdammt danach aus. Als es dunkel wird, kommt er von selbst zum Haus gelaufen und lässt sich in den Käfig setzen. Dort haut er sich den Bauch mit Weizenkörnern voll, hopst auf seine Schlafstange und schließt die Augen. Ich lege die Wolldecke über den Käfig.
    »Wach auf!« Jiminy schüttelt mich am Arm. Es ist drei Uhr morgens.
    »Du hast geschrien«, sagt Jiminy. »Hörte sich an, als würdest du umgebracht. Ich hätte mich fast nicht in dein Schlafzimmer getraut.«
    Ich versuche mich zu erinnern, was ich geträumt habe.
    »Da war so ’n Papagei. Ich habe geträumt, ich hätte einen Papagei gefunden. Der sah total schlimm aus. Am Brustkorb hatte der überhaupt kein Fleisch mehr. Die Rippen standen einfach so in die Luft. Wie abgenagt. Ich habe ihn aufgehoben, um ihn zu einem Tierheim zu bringen, aber dann ist ein Mann gekommen. Überholt mich, schnappt sich den Vogel und nagelt ihn in Sekundenschnelle an eine Wand. Und bevor ich irgendetwastun kann, trennt er ihm mit einer Motorsäge den halben Schnabel ab, und dann noch ein Bein.«
    »Schrecklich«, sagt Jiminy.
    »Das liegt natürlich an diesen ganzen Berichten über die Zustände in der Massentierhaltung und über Versuchslabore und kupierte Schnäbel von Hühnern, die ich ständig lesen muss. Die reinsten Horrorgeschichten.«
    Jiminy hebt das Buch neben meinem Bett auf – »American Psycho«.
    »Vielleicht solltest du nicht unbedingt gleichzeitig ein Buch über einen Serienmörder lesen. Komm mit in die Küche, ich mach dir einen Tee.«
    Dann sitzen wir in der Küche und trinken Tee.
    »Wusstest du, dass Serienkiller so gut wie immer zuerst Tiere gefoltert und getötet haben, bevor sie sich das erste Mal an einen Menschen wagen?«, sage ich. »Die tasten sich langsam an das heran, was sie eigentlich wollen. Vor ein paar Jahren, als ich noch in Niedersachsen wohnte, ging da mal ein Pferderipper um. Deswegen habe ich ein paar Nächte draußen bei meinem Pferd geschlafen, um es zu bewachen. Mir war überhaupt nicht klar, dass ich dabei selbst in Gefahr sein könnte. Ich wusste doch nicht, dass Pferdeaufschlitzen eine der üblichen Entwicklungsstufen in der Karriere eines Frauenaufschlitzers ist. Ich finde, das hätte einem mal jemand sagen sollen.«
    »Jetzt trink deinen Tee«, sagt Jiminy.
    »Wenn du mich fragst, dann ist auch ein Versuchsleiter, der in seinem Labor einem jaulenden, völlig verängstigten Hund immer wieder Stromstöße verpasst, ein gemeingefährlicher Typ – völlig egal, wie viele Doktortitel der hat.«
    Mark Rowlands beschreibt in seinem Buch »Der Philosoph und der Wolf« die von den Psychologen R. Solomon, L. Kamin und L. Wynne an der Harvard University erfundene Shuttle-Box: »Bei einer Variante wird der Boden auf beiden Seiten der Schranke unter Strom gesetzt. Wohin der Hund auch springt, stets erhält er einen Stromschlag. […] Als die Forscher das Experiment zu Papier brachten, schrieben sie, der Hund habe ein ›scharfes, vorwegnehmendes Jaulen‹ ausgestoßen, ›das zu einem gellenden Schrei wurde, wenn er auf dem Gitter landete‹. Das Endergebnis ist das gleiche: Der Hund – urinierend, seinen Darm entleerend, jaulend und zitternd – liegt erschöpft auf dem Boden. Nach zehn bis zwölf Tagen solcher Experimente leistet der Hund den Stromschlägen keinen Widerstand mehr.« Solomon, Kamin und

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