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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Hodensack aufzuschneiden und die Hoden rauszuschälen. Bringt der Tierarzt sein Operationsbesteck eigentlich nicht selber mit? Oh Gott, wenn ich die Sache hier gerade richtig verstehe, dann spart man sich in der Landwirtschaft auch gern mal den Fachmann und kastriert seine Ferkel einfach – zack, zack – selber. Der Mann, der dem eingeklemmten Ferkel auf dem Foto gerade mit einer Zange den Ringelschwanz abkneift, sieht mit seinen wild gemusterten Shorts und den nackten Füßen in Bequemsandalen jedenfalls nicht wie ein Veterinär aus. Tierarzt – ach was, kost’ bloß Geld! Und »durch die senkrechte Lage des Ferkels ist die« – sonst wohl öfter mal vorkommende – »Verletzung des Darmes« dank Kastrationsgerät NODECK ja nun ausgeschlossen. Hinterher kann man mit einem Anti-Stress-Spielball für 14,50 Euro dem Ferkel Trost spenden.
    Nein, Tiere quälen ist kein Privileg industrieller Massentierhaltung. Auch scharf kalkulierende Familienbetriebe sind zu mancher Grausamkeit bereit, wenn es offiziell erlaubt oder schwer zu überprüfen ist. Was mich von allen Artikeln am meisten schaudern lässt – mehrnoch als Elektroschocker, schwere Eisenketten, Gleitschleim für Rektal- und Vaginaluntersuchungen, Hüftfesseln zum Bändigen »besonders störrischer Tiere«, die eigentlich lieber keine Rektal- oder Vaginaluntersuchung über sich ergehen lassen möchten, oder »Heißschneidegerät ENGEL «, »zum Kupieren von Ferkelschwänzen, aber auch zum Trennen und Verschmelzen von Schnüren und Seilen« geeignet –, sind die beliebten und »seit 20 Jahren mit der Praxis entwickelten« Kälberhütten. Die Praxis, von der hier die Rede ist, ist das Wegnehmen der Kälber von ihren Müttern direkt nach der Geburt und das Einpferchen der Neugeborenen in einen weißen Polyethylen-Iglu mit den Maßen 145 x 122 x 135 cm. Selbstverständlich ist auch ein »tier- und artgerechtes Großraum-Kälberiglu« für bis zu fünf Kälber im Angebot, sofern man es für artgerecht hält, wenn Kälber von ihren Müttern getrennt in weißem Fiberglas wohnen. Der Prospekt weist darauf hin, dass seit 2007 Kälber nur noch in Ausnahmefällen über acht Wochen in Einzelboxen gehalten werden dürfen – sonst drohen dem Bauern schmerzliche Prämienkürzungen. Aber acht Wochen Einzelhaft dürften auch genügen, um ein Neugeborenes psychisch zu demolieren. Insbesondere, da das Tierschutzgesetz immer noch erlaubt, die Hornansätze bei Kälbern in den ersten sechs Wochen ohne Betäubung auszubrennen. Früher ging man nämlich mal davon aus, dass die Kälber dabei keine Schmerzen empfinden würden. Heute weiß man, dass das ein Irrtum ist. Erlaubt und gemacht wird es immer noch, Betäubungen kosten schließlich Geld. Und ohne Hörner passen nun einmal mehr Kühe in einen Laufstall.
    Zufällig gibt es in meiner Familie einen Landwirtschaftsminister. Es handelt sich um meinen Schwager, und ich habe ihn um ein kleines Streitgespräch für mein Buch gebeten. Streitgespräch habe ich es ihm gegenüber natürlich nicht genannt, sondern Interview. Zu meiner Überraschung hat er zugesagt. Einen Tag bevor ich ihn besuchen will, ruft er an und sagt wieder ab.
    »Hab mich sowieso gewundert, dass du das machen wolltest«, sage ich, »kann ich gut verstehen, wenn du kalte Füße gekriegt hast.«
    »Ich habe keine kalten Füße bekommen«, antwortet mein Schwager mit sonorem Politikerbass, »es wäre nur für dich nicht gut, wenn wir dieses Interview führen würden.«
    »Och, das wäre dann ja meine Sorge«, sage ich.
    »Es würde deinem Buch auch gar nicht nützen.«
    Zehn Minuten lang versichere ich ihm mehrmals, dass es für das Buch durchaus gut wäre, wenn er mit mir ein bisschen über die Tierhaltung in der Landwirtschaft und die Verantwortung der zuständigen Minister plaudern könnte, und dass ich bereit sei, jegliche Risiken, die so ein Interview für mich bergen könne, zu tragen, wobei mir allerdings nicht ganz klar sei, worin die eigentlich bestehen sollen. Mein Schwager antwortet jedes Mal, dass das nicht gut für mich wäre und übrigens auch meinem Buch überhaupt nicht nützen würde. Ein Kafka-Gespräch. Schließlich gebe ich zermürbt auf. Einen Augenblick ist Stille auf beiden Seiten der Telefonleitung.
    »Kannst du mich dann wenigstens mal in eine Mastanlage mitnehmen? Du besichtigst doch so etwas bestimmt öfter.«
    »Da kommt aus hygienischen Gründen niemand hinein, damit keine Krankheiten eingeschleppt werden. Da komm auch ich nicht

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