Anständig essen
rein.«
»Oder in eine Großschlachterei. Wenn du eineSchlachtanlage einweihst oder was auch immer.«
»Nein, das wäre nicht gut, wenn ich dich da mitbringe.«
»Sag mal, gibt dir die ganze Geheimniskrämerei nicht selber zu denken? Wenn da alles so prima und korrekt läuft, wieso kann ich mir das dann nicht einfach mal ansehen? Dass in einer Schlachterei Tiere getötet werden, ist mir schon klar. Daraus werde ich schon keinen Enthüllungsbericht machen.«
»Da gibt es keine Geheimniskrämerei. Du kannst die Schlachtereien jederzeit allein besichtigen.«
»Glaub ich nicht.«
»Doch. Du musst da nur anrufen und einen Besichtigungstermin ausmachen.«
Ich atme tief ein und aus.
»Ist ein Landwirtschaftsminister, der gegen Massentierhaltung ist, eigentlich denkbar? Gibt es so etwas überhaupt?«
»Das kommt darauf an, was du unter Massentierhaltung verstehst.«
(Sehr sonorer Politikerbass.)
»Mann«, sage ich, »die Frage stellt sich doch gar nicht, wenn du es mit Betrieben von über Hunderttausend Hühnern zu tun hast. Da kommst du doch gar nicht in den Bereich, wo du überlegen musst, ob man jetzt schon von Massentierhaltung sprechen soll oder ob das noch ein Familienbetrieb ist. Ich persönlich würde den Trennstrich übrigens bei fünfhundert Hühnern machen – weil das in der Freilandhaltung die Obergrenze ist, wenn man sichergehen will, dass auch alle Hühner den Auslauf nutzen.«
Der sonore Politikerbass hellt sich auf und kippt in eine belustigte, vielleicht sogar erleichterte Stimmlage.
»Von 500 Tieren kann kein Bauer leben. Davon kannder noch nicht einmal die Schulhefte für seine Kinder bezahlen.«
»Von Rentabilität spreche ich aber gerade gar nicht, sondern davon, was man einem fühlenden Lebewesen zumuten kann.«
»Renate Künast«, sagt mein Schwager. »Die war dagegen. Da hast du ja schon mal jemanden. Übrigens wäre ich bereit, dein Buch, wenn es fertig ist, gegenzulesen. Damit du dich nicht blamierst, weil da lauter falsche Sachen darin stehen.«
»Nee«, sag ich, »nee danke. Lass man.«
Später überlege ich, was ich meinem Schwager auf die Frage, was ich eigentlich unter Massentierhaltung verstehe, hätte antworten sollen.
An der Anzahl der Individuen, die zusammen gehalten werden, kann man das Leid einer Spezies ja gar nicht festmachen. Wenn 2000 Rinder über die Prärie ziehen, geht es denen ja trotzdem besser als 100 Kühen, die in einem Stall festgebunden sind. Und Bienen leben ja auch in großen Mengen auf engstem Raum zusammen, ohne dass das ihr Befinden beeinträchtigt. Das Verwerfliche an der Massentierhaltung ist, dass hierbei nicht die Haltung an die Bedürfnisse der Tiere angepasst wird, sondern die Tiere an eine offensichtlich ungeeignete Haltungsform angepasst werden, indem man sie an Hörnern, Schnäbeln oder Ringelschwänzen verstümmelt, damit man noch mehr zusammenstopfen kann. Massentierhaltung bedeutet, dass man Tieren Höchstleistungen auf Kosten ihrer Gesundheit anzüchtet. Massentierhaltung bedeutet Turbo-Futter, schlechte Gesundheit, Schmerzen, Stress, Bewegungsmangel und frühzeitiger Tod. Massentierhaltung bedeutet Tierquälerei zur Gewinnmaximierung.
Am nächsten Tag ruft Esther Kormann für mich bei mehreren Großschlachtereien an und versucht einen Besichtigungstermin auszumachen. Die meisten bitten sie, morgen wieder anzurufen, weil es heute gerade nicht so gut passt. Von einer Sekretärin wird sie gefragt, ob sie etwa eine negative Berichterstattung plane.
»Nein«, sagt Esther. »Wir haben nicht vor, sie fertigzumachen. Wir wollen nur wissen, wie der Betrieb in einem Schlachthof abläuft. Eine Autorin schreibt ein Buch über Ernährung und da gehört das schließlich dazu.«
»Dann schicken Sie uns doch bitte eine E-mail.«
Sie schickt eine E-Mail.
Am nächsten Tag ruft sie zum zweiten Mal bei allen Schlachtereien an. Fast alle bitten sie, morgen wieder anzurufen, weil es heute gerade nicht so gut passt. Die Schlachterei, der sie die E-Mail geschickt hat, sagt ab. Passt gerade nicht so gut. Sie könne es aber gern in einem halben Jahr wieder versuchen. Wahrscheinlich hat eine Großschlachterei einfach nichts zu gewinnen, wenn die unangenehmen Fakten des Massenschlachtens öffentlich werden. Paul McCartney glaubt, wenn die Wände der Schlachthöfe aus Glas wären, würde niemand mehr Fleisch essen.
Kaum ist der Schnee geschmolzen, wird der Piepsi unruhig und läuft den ganzen Tag laut lamentierend von einer Käfigseite zur andern. Am
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