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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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oder vielen Kilometern verborgen sein mag: Sie sind mitschuldig.«
    (Ralph Waldo Emerson)
    Vorgabe: Natürlich immer noch kein Fleisch und keinen Fisch. Und nichts mit Gelatine.
    Ich würde ja gern erzählen, dass ich mich viel fitter und gesunder fühle, seit ich Vegetarierin bin, aber leider hat meine Physiotherapeutin bei mir gerade einen Lymphstau diagnostiziert, und dann habe ich mich auch noch mit Keuchhusten angesteckt. Lymphstau – das ist doch ein Oma-Gebrechen. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich von morgens bis abends am Schreibtisch sitze und an der 28. Version eines Drehbuchs bastele. Alle haben mich gewarnt: Schreib bloß kein Drehbuch! Und alle haben recht behalten. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Keuchhusten anzustecken, liegt bei eins zu zweihunderttausend, ist also zehn Mal so unwahrscheinlich, wie als Hermaphrodit geboren zu werden. Ich liege im Bett, schwitze Pyjamas durch, und alle fünf Minuten huste ich mir mit hervorquellenden Augen und hochroter Birne die Lunge aus dem Leib. Anfang April bin ich zumindest wieder in der Lage, mit Jiminy Fernsehenzu kucken und etwas Traubensaft zu trinken. Bei Rewe gibt es nämlich neuerdings auch noch Bio-Beeren- und Bio-Traubensaft.
    Die ZDF -Sendung »Frontal21« berichtet über katastrophale Tierquälereien in deutschen Schlachthöfen. Etwa 200 000 Rinder werden pro Jahr nicht richtig betäubt.
    »Grauenhaft«, sagt Jiminy, »das ist ja grauenhaft. Ich glaub, ich kriege jetzt auch Albträume.«
    Ich erläutere Jiminy die Zusammenhänge:
    »Es – hust, hust – liegt am – husthusthust – Bolzen … – husthusthust – husthusthusthusthusthusthust- hust – hust – husthusthust – aaaraagh – husthusthust – hust – aaarghh. Es liegt am Bolzenschuss.«
    Das Bolzenschussgerät, mit dem ein sieben bis elf Zentimeter langer Bolzen in den Schädel von Rindern getrieben wird, tötet das Tier nämlich nicht sicher, und vor allem nicht sofort. Das soll es auch gar nicht. Aufgabe des Bolzenschussgeräts ist die Betäubung vor der eigentlichen Schlachtung. Wenn alles gut läuft, führt der Aufschlag des Bolzens auf das Schädeldach zu einer kurzen Bewusstlosigkeit und das Eindringen des Bolzens verursacht Gehirnschäden, die die Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit noch verlängern, sodass das Tier bereits die nächsten Schlachtstationen durchlaufen hat und längst ausgeblutet, also tot, ist, bevor es wieder zu sich kommen kann. Früher wurde direkt nach dem Bolzenschuss noch ein langer Stab durch die Einschussöffnung in den Schädel und bis in die Wirbelsäule geschoben und mehrmals vor- und zurückbewegt. Danach wacht kein Rind mehr auf. Der sogenannte Rückenmarkzerstörer wurde nicht nur aus Tierschutzgründen eingesetzt, sondern vor allem, um die Verletzungsgefahr zu vermeiden, die von einem600 Kilo schweren, an seinem Hinterbein aufgehängten Bullen ausgeht, der plötzlich wieder zu sich kommt und, wahnsinnig vor Schmerzen, um sich tritt. Als die Rinderkrankheit BSE sich ausbreitete, wurde der Rückenmarkzerstörer EU -weit verboten, um das Risiko einer Übertragung von BSE -Erregern aus Gehirn und Wirbelsäule ins Fleisch zu reduzieren. Fehler bei der Betäubung oder beim Entblutungsstich machen sich seitdem auf scheußlichste Art bemerkbar. Ein schlecht gewartetes Bolzenschussgerät, ein wenig treffsicherer »Schütze« oder auch nur eine verängstigte Kuh, die ihren Kopf im entscheidenden Moment zur Seite wirft, und schon hängt ein unzureichend betäubtes Tier kopfüber am Schlachtband und bekommt mit, wie ein Hohlmesser in seinen Hals oder seine Brust gestoßen wird, um die Halsschlagader zu öffnen. Im schlimmsten Fall wartet der im Akkord arbeitende Schlachter die vorgeschriebene Zeit des Ausblutens nicht ab, sondern schiebt die Kuh, geschäftig vor sich hin pfeifend, gleich weiter, und sie bekommt auch noch ihre Zerlegung mit. Zu den nächsten Arbeitsschritten gehört das Abschneiden der Ohrmarken, das Abtrennen der Vorderbeine und das Herausziehen und Verknoten der Speiseröhre.
    »Auf YouTube – hust – habe ich ein Video gesehen, wo einer Kuh das Bein abgeschnitten wurde, während sie damit noch gezappelt hat.«
    »Lass gut sein«, sagt Jiminy. »Ich glaub, ich muss kotzen.«
    Schweine werden nicht mit dem Bolzenschussgerät, sondern mit Gas oder mit einer Elektrozange betäubt. Unzureichende Betäubungen sind hier weniger das Problem. Die größte Fehlerquelle ist der sogenannte Stecher bzw. sind die Arbeitsbedingungen des Stechers.

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