Anständig essen
Stallbereich. Bis ins Wohnhaus hinein war das zu hören. Bis in die Nacht hinein.
»Wenn man das Kalb direkt nach der Geburt fortnimmt, leidet die Kuh dann nicht?«, frage ich.
»Dann leidet sie still«, sagt Jan.
Wie soll man auch nach jemandem rufen, den man nicht kennt? Meine Nachbarin Beate, die lange in einem Betrieb mit Milchkühen gearbeitet hat, meint, die Kühe würden gar nicht leiden. Aber selbst, falls die Kuh tatsächlich keinen Verlust empfindet, wenn die Prägephase übersprungen wird, so bleibt doch immer noch ein verzweifeltes, verängstigtes Kalb. Jedes neugeborene Säugetier ist darauf angewiesen, dass seine Mutter bei ihm ist. Normalerweise hängt sein Leben davon ab. Und es bleibt eine Kuh, die die Lasten, Risiken und Schmerzen einer Schwangerschaft Jahr um Jahr erträgt, ohne dass dafür ein freudiges Ereignis in ihr Leben tritt.
»Ich konnte das irgendwann nicht mehr aushalten«, sagt Jan Gerdes, »dass man Kühe wie Maschinen behandelt. Und dass die Kälber nur geboren werden, um zu sterben oder ebenfalls zu Milchmaschinen zu werden.«
»Und wenn man das Kalb einfach bei der Kuh lässt und nur den Rest melkt«, fällt mir ein. »Da ist doch genug.«
Jan rechnet mir vor, dass meine Super-Idee den Bauern pro Tag und Kuh um die drei Euro kosten würde, je nach dem aktuellen Milchpreis. Wenn jemand 200 Kühe besitzt, wie das ja heutzutage keine Seltenheit mehr ist, rechne ich selber weiter, deren 200 Kälber 30 Tage im Monat trinken, dann macht das ruck, zuck eine Einnahme-Differenz von 18 000 Euro. Im Monat.
»So viel nicht«, sagt Jan, »die Kühe geben ja nicht die ganze Zeit Milch.«
Aber selbst bei einem Familienbetrieb mit 30 Kühen, bei dem gerade nur 20 Kühe Milch geben, wären es immer noch 1800 Euro Miese im Monat. Den Bauern, der dazu bereit wäre, kenne ich auch nicht. Doch so schnell lasse ich nicht locker.
»Wenn das aber nur ein Drittel der Menge ist, die die Kuh sowieso gibt, dann könnte man ja einfach den Milchpreis um 30 % anheben. Das könnte man ja gesetzlich beschließen – in einem zivilisierten Land werden keine Tiere gequält, und deswegen kostet die Milch jetzt 30 % mehr, basta. Jetzt nur mal hypothetisch … »
»Ja, aber dazu müsstest du wieder den Willen der Kuh brechen. Die gibt dir nämlich nicht freiwillig ihre Milch. Das Kalb trinkt auch nicht gleichmäßig an allen vier Zitzen, sondern immer nur einen Strich leer. Und wenn die Kuh dann an die Melkmaschine angeschlossen wird, tut ihr das an der leeren Zitze weh. Außerdem ist die übertriebene Milchproduktion nicht gesund. Alle unsere Kühe, die einmal in der Milchproduktion waren, haben irgendwelche Schäden davongetragen. Huf- und Gelenkentzündungen oder Stoffwechselerkrankungen. Normalerweise werden Hochleistungsmilchkühe ja schon nach zwei oder drei Schwangerschaften geschlachtet, die werden gar nicht so alt, dass man die Folgeschäden beobachten könnte.«
Sieht nicht so aus, als ob ich je wieder guten Gewissens werde Käse essen dürfen.
»Aber es gibt doch so guten veganen Käseersatz«, sagt Karin Mück. Inzwischen sitzen wir nämlich schon wieder im Hof an einem Tisch und trinken Tee, und Karin Mück hat sich zu uns gesetzt. Sie ist die Lebensgefährtin von Jan Gerdes.
»Och nee, lass gut sein«, sage ich, »veganen Käse finde ich richtig schlimm.«
»Was hast du denn bisher für welchen gegessen? Kennst du den No-Muh-Chäs?«
Sie geht ins Haus, um mir welchen zum Probieren zu holen. Der weiße Hund und sein kleinerer Kollege kommen herüber und legen sich unter den Tisch in den Schatten. Zwei Gänse marschieren vorbei und inspizieren ihre Futternäpfe. Prinz Lui, ein Minischwein, das es nur schwer aushält, wenn es nicht im Mittelpunkt steht, stempelt mit seiner dreckigen Nase mein Hosenbein. Ich frage Jan, wie es denn dazu kam, dass er irgendwann Milchviehhaltung nur noch als Ausbeutung sehen konnte.
»Eigentlich habe ich mich die ganze Zeit dabei unbehaglich gefühlt, das wurde halt immer mehr. Und dann waren da auch noch die Praktikanten. Das waren teilweise Vegetarier.«
Während Hofschwein Lui sich von mir den Rücken kratzen lässt, erzählt Jan mir von der Praktikantin, die so geweint hatte, als eine Kuh geschlachtet werden sollte. Oh bitte, nicht diese, nicht jetzt, flehte sie. Jan Gerdes blieb fest – das gehöre zu so einem Betrieb nun einmal dazu, anders gehe es nicht. Am Abend bevor die Kuh zum Schlachter sollte, setzte sich die Praktikantin zu ihr in den Stall und
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