Anständig essen
etwas über Tiere?«, fragt die Verkäuferin erleichtert.
»Ein kritisches Buch über unseren Umgang mit Tieren«, präzisiere ich, »aber lieber einen Roman als ein Sachbuch. Coetzee – oder wie der sich ausspricht – hat so etwas geschrieben. ›Elizabeth Costello‹ – das haben Sie wohl nicht zufällig da?«
»Nein, aber wir könnten es bestellen.«
»Ich brauche es jetzt. Es soll ein Geschenk sein.«
Plötzlich hellt sich das Gesicht der Buchhändlerin auf und sie geht zum Taschenbuch-Regal.
»›Emmas Glück‹«, ruft sie, »kennen Sie ›Emmas Glück‹? Das ist ein ganz schönes Buch! Es handelt von einer Bäuerin, die immer besonders nett zu ihren Tieren ist. Auch wenn sie sie schlachtet. Die schlachtet ihre Tiere immer auf so besonders schöne Weise, und sie nimmt sie dabei auf den Schoß und streichelt sie …«
Die Buchhändlerin kriegt ganz plüschige Augen, während sie davon erzählt, wie nett die Tiere geschlachtet werden. Mir wird gleich übel.
»Nee«, sag ich, »nee, das geht nicht. Die Leute, für die das ist, sind dagegen, dass Tiere getötet werden.«
»Die sind dagegen, dass Tiere getötet werden?«
Die Buchhändlerin sieht mich so fassungslos, ja, angewidert an, als hätte ich einen Ratgeber für abnorme Sexualpraktiken verlangt.
»Aber die essen doch Fleisch?«
»Nee«, sage ich, »die essen auch kein Fleisch.«
»Die essen überhaupt kein Fleisch?«
Die Buchhändlerin und die Verkäuferin tauschen einen Blick.
»Wissen Sie was«, sage ich, »ich glaube, ich nehme ganz was anderes. Haben Sie das Buch von diesem Rechtsanwalt, dem Schirach?«
Erlöst zieht die Buchhändlerin ein weißes Buch aus dem Regal neben der Kasse.
»Ja, hier – das meinen Sie doch: ›Schuld‹. Soll ich es in Geschenkpapier packen?«
»Unbedingt«, sage ich, »packen Sie es bitte ein.«
Hof Butenland liegt hoch oben im Norden, noch nördlicher als Nordenham, zur Nordsee ist es nicht mehr weit. Eine zugewachsene, nicht ganz einfach zu findende Nebenstraße geht von der Hauptstraße ab, tief hängende Zweige streifen das Autodach, dann stehe ich vor einem breiten Tor, und dahinter sieht es aus wie auf dem Werbeaufdruck einer Packung Hühnereier, Güteklasse A. Ein schmucker Bauernhof im Sonnenschein, roter Backstein und blau gestrichene Holztüren. Blütenweiße Hühner spazieren vorbei, jede Gruppe von einem Hahn begleitet. Ein großer Hund liegt im Gras und betrachtet sinnend die Hühnerschar.
An diesem Tor endet das Wertesystem einer Gesellschaft, die in einem Tier ein Produktionsmittel sieht, eine biologische Maschine, die effizient zu laufen hat. Auf Hof Butenland wird nicht geschlachtet und gemolken und gemästet. Eher wird hier schon einmal ein Schwein mit Gewichtsproblemen auf Diät gesetzt, und die Kühe liegen auf der Weide herum und käuen wieder, ohne einen einzigen Tropfen Milch zu geben.
»Städter denken ja meistens, Milchkühe geben immer Milch, die seien dafür gezüchtet«, sagt Jan Gerdes, während er die schwarz-weiße Trine am Hals krault. Wir stehen zwischen den Tieren, den endlosen norddeutschen Himmel über uns. Der Wind ist ein bisschen salzig.
»Ich sage denen immer: Das sind keine Milchkühe, sondern zuallererst einfach nur Kühe. Milch geben sie, wie das bei Säugetieren üblich ist, nur nachdem sie geboren haben und allein zu dem Zweck, ihr Kalb zu ernähren.«
Das Kalb sieht von der Milch allerdings kaum etwas. Meistens – und das ist in Bio-Betrieben nicht anders als in konventionellen Betrieben – wird es direkt nach der Geburt von der Mutter getrennt. Manchmal kommen sie nicht einmal dazu, sich zu beschnuppern, die Kuh leckt ihr Kalb nicht ab und stillt es auch nicht. Das ist gesundheitlich bedenklich, weil das Kalb damit die wertvolle Kolostralmilch verpasst. Aber die Milchbauern gehen das Risiko ein – das Tier wird ja sowieso bald geschlachtet – oder sie machen sich die Mühe, die Kolostralmilch abzumelken und dem Kalb dann separat zu verabreichen. Um sich das Gejammer zu ersparen. Jan Gerdes kennt es, dieses Gejammer. Er betrieb nämlich selbst einmal Milchwirtschaft. Damals war Butenland ein Demeter-Hof, und es wurde sogar Käse hergestellt.
»Ein sehr guter Gouda war das«, sagt Jan Gerdes sachlich.
Bei ihm durften die Kälber zwei Wochen bei der Mutter bleiben, und wenn man die beiden dann trennte, dann muhte suchend und besorgt die Kuh und suchendund jammernd antwortete das Kalb. Dann wieder rief das Kalb, und die Kuh antwortete aus ihrem
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