Anständig essen
spielte ihr zwei Stunden auf der Blockflöte vor. Und am nächsten Tag ging sie mit ihr mit – der Schlachter wohnte nur ein Dorf weiter – und spielte wieder Blockflöte, während der Kuh das Bolzenschussgerät an die Stirn gesetzt wurde.
»Mir war das natürlich total peinlich«, sagt Jan, »aber den Schlachter hat das nicht weiter gestört. Der meinte bloß: ›Ach, die war doch süß, die Kleine.‹«
Jan Gerdes’ Unbehagen wurde dadurch natürlichnicht gerade weniger. Seine Frau verstand das nicht. Auch nicht, dass es ihn befremdete, wenn sie gleich nach dem Schlachten mit einem aufgeschnittenen Brötchen zum Ort des blutigen Geschehens lief, sich das erste frische Mett drauftun ließ und fröhlich mampfend wieder heimkehrte. Seine Kinder verstanden diese Empfindsamkeiten auch nicht. Und eines Tages waren Frau und Kinder weg, und er saß allein auf dem Hof und wollte eigentlich nur noch, dass das alles ein Ende haben sollte. Vierzehn Kühe gab es noch, die sollten alle zum Schlachter, und dann wäre endlich Schluss gewesen mit der Landwirtschaft. In dieser Situation lernte er Karin Mück kennen. Und Karin machte einen so interessanten wie auch verblüffend naheliegenden Vorschlag: Er solle doch den schönen Hof behalten und seine letzten Tiere einfach auch. Es genüge doch völlig, wenn er aufhören würde, sie auszubeuten. Seitdem stehen Ochs und Kuh auf der Weide, und kein Tier wird mehr gemolken oder geschlachtet. Der Hof ist jetzt eine Tierschutzstiftung, die sich über Spenden und Kuh-Patenschaften finanziert. Zu den eigenen vierzehn sind über einen Tierschutzverein noch weitere fünfzehn Rinder hinzugekommen.
»Mir ist eine zentnerschwere Last von den Schultern gefallen. Zum ersten Mal konnte ich die jungen Bullen füttern und ihnen ohne schlechtes Gewissen in die Augen sehen – weil ich ja nicht mehr vorhatte, sie zu schlachten.«
»Na ja«, sagte ich, »aber abgesehen von der Trennung von ihrer Mutter hatten die doch kein schlechtes Leben bei dir. Wenn die bei dir zwei, drei Jahre alt geworden sind, dann haben sie ja auch länger gelebt, als sie es aller Wahrscheinlichkeit nach in der Wildnis getan haben würden. Dann hast du denen ja eigentlich etwas geboten und hättest ihnen auch mit reinstem Gewissen in die Augen sehen können.«
Jan schüttelt langsam den Kopf.
»Nein. Nein, das geht eben nicht.«
Karin kommt mit dem veganen Käse zurück und schneidet mir ein erschreckend großes Stück ab. Sie und Jan nehmen sich jeder ebenfalls ein großes Stück und essen es voller Genuss. Ich mümmle am Rand von meinem. Es schmeckt tatsächlich ein bisschen wie Käse, allerdings keiner, den ich mir kaufen würde.
»Den haben wir aus dem Internet«, sagt Karin. »Da gibt es ganz viele Firmen, die vegane Produkte anbieten. Da kriegst du alles, was du möchtest. Und es gibt dort auch Listen darüber, welche Produkte in ganz normalen Supermärkten vegan sind.«
Wie lehnen uns zurück und blinzeln in die Sonne. Im Blumenbeet liegt Lui, das exaltierte Schwein, und frisst das mitgebrachte Buch samt Geschenkpapier.
Von Butjadingen fahre ich gleich weiter nach Hamburg, wo meine Freunde Angela und Friedemann wie jedes Jahr ein Elfmeterschießen in ihrem kleinen Hamburger Stadtgarten veranstalten. Diesmal kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft. Es läuft nach dem Ausschlussverfahren. Jeder tritt gegen jeden an, und der Sieger kriegt am Ende einen Pokal. Kinder unter zwölf und Frauen dürfen zwei Meter näher ans Tor treten.
Jiminy hat getobt, als ich ihr davon erzählte.
»Entwürdigend! Eine Demütigung! Da würde ich mich weigern!«
Aber Jiminy spielt auch ziemlich gut Fußball. Ich bin für die Zwei-Meter-Regelung. Ich kann jeden Vorteil gebrauchen.
Gegrillt wird natürlich auch. Wieso muss eigentlichvor einer Fußball-WM ständig gegrillt werden? Die Supermarktkühltruhen sind rammelvoll mit Schaschlikspießen und Bratwurstschnecken. Ist das magisches Denken? Die amerikanischen Astronauten sollen vor ihren Raumflügen auch immer Fleisch gegessen haben. Möglichst viele Tiere töten, damit Deutschland den Weltmeistertitel holt? Also wenn’s daran liegt, schaffen wir es diesmal. Ich habe die Freundschaft zu Angela und Friedemann mal ein bisschen auf die Probe gestellt, ihnen einen Flyer über Massentierhaltung geschickt und ein veganes Grillfest verlangt. Leider habe ich auf Hof Butenland die Zeit vergessen und komme jetzt viel zu spät zur Party. Das große Fleisch- und Würsteverschlingen ist
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