Anständig essen
schon vorbei. Meine tierrechtlerischen Aufkleber kann ich nur noch an einem leeren Grill anbringen. Die Aufkleber zeigen ein Schwein auf schwarzem Grund und unter dem Schwein steht: »Mein Fleisch gehört mir. Wenn du trotzdem Fleisch essen willst, beiß dich doch in den eigenen Arsch.« Na ja, so richtig lustig finde ich die selber nicht. Neben dem Grill liegen noch zwei eingeschweißte Packungen Tofu-Würste. Die sollen dann wohl für mich sein. Die Sonderkost für die Essgestörte.
Auch das Elfmeterschießen ist bereits gelaufen. Wie schon im letzten Jahr hat eine Frau gewonnen, eines von den jungen Mädchen. Die Männer brummen missmutig vor sich hin. Viele Jahre hindurch wurde der Zwei-Meter-Bonus gönnerhaft und einstimmig gewährt, aber nun mehren sich die Stimmen, dass es irgendwie nicht in Ordnung sei, wenn die Frauen so bevorzugt werden.
»Aber das ist doch der Sinn der Sache«, sage ich, »dass die Frauen dann auch einen Vorteil davon haben. Oder wollt ihr sie nur so viel näher ans Tor lassen, dass es keinen Effekt hat?«
»Du bist wahrscheinlich auch für Frauenquote«, sagt Friedemann.
»Natürlich«, sage ich, »wofür denn sonst – für Frauenarbeitslosigkeit und sexuelle Verstümmelung?«
Ein Kind, das doch noch eine letzte Wurst ergattert hat, läuft vorbei. Als es hineinbeißt, spritzt der Saft in alle Richtungen. Unter einem Zeltdach sitzt die Nachbarschaft. Eine pastellfarben angezogene Dame zerreißt mit Zähnen und Fingern ein Bein, mit dem vor Kurzem noch ein Huhn durch den Kot einer Mastanlage stapfte. Ich schließe die Augen, und als ich sie wieder öffne, sehe ich für einen kurzen Moment alle um mich herum knöcheltief in Blut waten, Blut tropft ihnen aus den Mundwinkeln und von den Händen, während sie so tun, als ob nichts wäre. Es hilft nichts, ich muss mal wieder die Nervensäge geben, mich in den Vordergrund spielen und von Spaltenböden erzählen, von Kastrationen ohne Betäubung, von humpelnden Hähnchen, deren Knochenwachstum mit dem Wachstum der Beinmuskeln einfach nicht Schritt halten kann, von Rindern, die, bereits am Schlachtband hängend, wieder aufwachen, von millionenfachem Leid und Tod. Sonst halt ich das hier nicht aus. Ich weiß, dass man andere Leute nicht belehren soll – damit macht man sie nur bockig –, aber es sind doch so empörende Grausamkeiten. Niemand kann das wollen. Man muss es den Leuten einfach nur sagen, und sie werden aufhören, dieses schreckliche Fleisch zu essen.
Inken, Konrad und Jörg-Uwe hören mir auch mit sorgenvoller Miene zu.
»Du hast ja recht, eigentlich hast du ja recht …«
»Aber so ein schönes knuspriges Grillhähnchen …«, sagt mein Ex-Freund Helmut, reibt sich wie in Vorfreude die Hände und wendet sich sofort ab, um die Antwort nicht hören zu müssen.
Wie kommt es, dass so viele an sich nette und intelligente Männer so wenig Bereitschaft zeigen, in Zusammenhängen zu denken, wenn es um ihren Fleischkonsum geht? Warum glauben Menschen, die die Welt ansonsten kritisch und differenziert betrachten, es sei gut, ausgerechnet bei einer existenziellen Sache wie dem Essen unhinterfragt die Überzeugungen ihrer Eltern zu übernehmen? Manche scheinen geradezu stolz darauf zu sein, Fleisch zu essen. Als bestünde eine Leistung darin, unbewusst zu kaufen und rücksichtslos zu konsumieren.
»Was meinst du«, brülle ich Helmut hinterher, »ist es legitim, jemandem durch Aufklärung die Partylaune und das unbeschwerte Vergnügen an einer Mahlzeit zu verderben, bloß weil sein Unwissen und seine Gleichgültigkeit Gewalt und Grausamkeit verursachen?«
Helmut bearbeitet gerade sein iPhone. Er sieht nicht einmal auf, als ich mich neben ihn stelle.
»Weißt du eigentlich, dass dein iPhone in einem Betrieb in China hergestellt wird, in dem die Arbeiter so wenig Lohn bekommen, dass sich immer wieder welche aus lauter Verzweiflung umbringen?«
Helmut tippt weiter Daten in seinen kleinen Angebercomputer.
»Die Leute da bringen sich um, weil die hundert Dollar, die sie kriegen, zum Leben einfach nicht reichen«, sage ich. »Und weißt du, wie die Firma darauf reagiert hat? Die haben drei Maßnahmen ergriffen. Als Erstes musste jeder Arbeiter einen Vertrag unterschreiben, in dem er sich verpflichtete, sich nicht umzubringen.«
Jetzt sieht Helmut doch kurz auf und lacht.
»Die zweite Maßnahme war, dass in den Treppenhäusern der Firma überall Fangnetze angebracht worden sind, und als Drittes haben sie dann tatsächlich noch das
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