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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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tot?«
    »Nein, die streich ich dann so ab.«
    Er macht eine vorsichtige Wischbewegung mit der Hand. Wahrscheinlich ist er ein Städter. Da gibt es nicht so viele Mücken. Für Städter ist es viel leichter, konsequent vegan zu leben.
    Zum Reiten habe ich mir jetzt eine Nylontrense und einen Sattel aus Kunststoff besorgt. Aus einem Versandhaus habe ich mir auch kurze Reitstiefel aus Kunststoff kommen lassen. Im Katalog nannte sich der Kunststoffschuh »der Schöne«. Er war aber eher für den schmalen Fuß gemacht und bereitete mir schon beim ersten Ausritt solche Schmerzen, dass ich ihn sofort Jiminy vermachte. Da die Stiefel aus dem Vegan-Laden immer noch nicht lieferbar sind, trage ich also weiter meine Blundstones, mit denen es sowieso kein anderer Schuh aufnehmen kann. Blundstones sind australische Lederstiefel, gut aussehend, wasserabweisend, bequem und so robust, dass man mit ihnen ohne Weiteres über ein im flachen Sumpf dösendes Krokodil balancieren kann. Außerdem sind Blundstones ein Ausdruck meiner Persönlichkeit.
    Es schmerzt mich schon genug, auf einen Ledersattel zu verzichten. Ich sehe nicht das tote Tier, ich sehe Handwerkerstolz und Tradition. Ein Menschenjäger, der den Gürtel voller Schrumpfköpfe hat, empfindet wahrscheinlich ähnlich. Sind sie nicht gediegen, sind sie nicht schön, meine Schrumpfköpfe? Zeichen des Mutes, uralte Sitte im Stamm, und früher hat sich doch auch keiner darüber aufgeregt. Eine Kunst ist das, einen Kopf so einschrumpfen zu lassen. Weder ich noch der alte Schrumpfkopf-Indianer denken beim Anblick unserer heiß geliebten Naturprodukte an Schmerz und Todesangst.
    Torino ist mit dem neuen Sattel auf seinem Rücken auch nicht besonders glücklich. Irgendwo zwickt es. Er macht einen Katzenbuckel und trippelt auf der Stelle. Ich steige schnell ab, bevor er zu bocken anfängt. Der Sattel ist ja auch eigentlich für Bonzo gedacht. Torino hat noch keinen. Aber ein Veganer reitet nun einmal nur mit Kunststoffsattel. Falls er reitet. Für vegane Hardliner ist Reiten eine besonders perfide Form der Ausbeutung, eine Beleidigung des Pferdes und der zur Schau getragene Herrschaftsanspruch über ein Tier. Ehrlich gesagt, habe ich das aber auch schon manchmal gedacht.Eigentlich ist das ja eine unglaubliche Zumutung und Respektlosigkeit, ein anderes Lebewesen zu zwingen, einen zu tragen. Die komplette Unterwerfung. Auf die leiseste Gewichtsverlagerung, den leichtesten Zug am Zügel muss es folgen.
    Ich habe noch den typischen Reitunterricht der 60er-Jahre mitgemacht. Sechzehn kleine Mädchen, die auf großen müden Pferden im Kreis reiten. Jedes mit einer Gerte in der Hand. Was für eine Idee, kleinen Mädchen Peitschen zu geben, damit sie Tiere schlagen, um ihnen ihren Willen aufzuzwingen. In der Mitte stand ein Reitlehrer mit militärischer Vergangenheit und brüllte: »Jetzt zieh dem Bock doch endlich mal einen über.« Das Ganze war so natürlich nur möglich, weil Pferde stille Dulder sind und keine Schmerzenslaute von sich geben. Man stelle sich vor, Pferde würden jedes Mal aufjaulen wie Hunde, wenn sie geschlagen werden. Das könnte die Freude am Reitsport doch sehr beeinträchtigen.
    Ich sattle Torino wieder ab. Je länger ich über das Reiten nachdenke, desto mehr neige ich zu dem Entschluss, während meiner veganen Phase einfach mal ein paar Wochen damit auszusetzen. Es ist sowieso furchtbar heiß, die blutsaugenden Insekten setzen Torino und den Mulis immer noch zu, und sie stehen jetzt am liebsten im Stall.
    Jiminy findet eine Schwalbe mit verklebten Flügeln im Paddock. Es ist eine der beiden Schwalben, die im Pferdestall nisten. Der erste Tierarzt weigert sich schon am Telefon, sie zu behandeln.
    »Wird sowieso nichts mehr.«
    Schließlich landen wir mit unserem antiken Holzvogelkäfig, der eigentlich nur zur Zierde gedacht war, jetzt aber gute Dienste tut, in der Strausberger Kleintierpraxis von Frau Barich. Frau Barich stellt auch gleich die richtige Diagnose. Die Schwalbe ist in einen der klebrigen Fliegenfänger geflogen, die ich vor ein paar Tagen im Pferdestall aufgehängt habe.
    »Sie müssen die Flügel mit Geschirrspülmittel sauber waschen und vorsichtig trocken föhnen«, sagt Frau Barich. »Stellen sie sich darauf ein, dass das Stunden dauern kann. Und wenn Sie Pech haben, stirbt der Vogel währenddessen vor lauter Angst an einem Herzinfarkt. Wäre nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Aber eine andere Chance gibt es nicht.«
    Nur gut, dass ich noch

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