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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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sie nicht essen, weil auf der Verpackung »kann Spuren von Milch enthalten« steht. Aber im Vegan-Laden wurde ich aufgeklärt, dass das nur heißt, dass die Schokoladentafeln durch dieselben Maschinen gelaufen sind, in denen vorher schon Vollmilch-Mixturen angerührt wurden. Die ich natürlich viel lieber essen würde. Was aber natürlich nicht erlaubt ist – bloß noch bestimmte Zartbitter-Sorten. Wer unbedingt Vollmilchschokolade haben muss – also ich, zum Beispiel –, kann sich Reismilchschokolade kaufen. Die Tafeln kosten zwischen 2,29 und 2,99 Euro und schmecken ein bisschen seltsam, aber doch erstaunlich ähnlich – ungefähr wie Eisschokolade. Wenn ich meine Fehlernährung weiterhin konsequent fortsetzen will, dann werden sich meine Lebensmittelkosten diesmal womöglich nicht verdoppeln, sondern verdreifachen. Außerdem hat die Reismilchschokolade auch noch satte 100 Kalorien mehr als die herkömmliche. Eigentlich hatte ich ja erwartet, dass ich vom veganen Essen abnehmen würde. Da tut sich aber gar nichts. Jiminy kann leider sehr gut kochen – frisches Kartoffelmus, das mit Soja- statt mit Kuhmilch angerührt wird, und Spinat mit Kokosmilch statt mit Sahne und gebratene Zwiebeln mit gar nichts statt mit Leber.
    Auf einem veganen Straßenfest frage ich Steffen Mohr, ob meine Beobachtung stimme, dass Veganer eigentlich fast ausnahmslos jung und überdurchschnittlich schlank seien. Steffen Mohr ist relativ jung, schlank und zweiter Vorsitzender von »die Tierbefreier« – einem eingetragenen Verein, der für eine vegane Lebensweise eintritt, die die Tiere in ein moralisch bewusstes Denkenund Handeln einschließt. Im vereinseigenen Magazin werden Bekennerschreiben von autonomen Tierbefreiern veröffentlicht.
    »Nein, gar nicht«, sagt Steffen Mohr, selbstverständlich gebe es auch dicke Veganer, alles sei voller dicker Veganer, es gebe ja für jedes dick machende Lebensmittel eine ebenfalls dick machende vegane Entsprechung, und er selber habe gerade 3 Kilo zugenommen, weil er soviel veganen Käsekuchen (Rezepte auf www.rezeptefuchs.de/Rezepte/Kaesekuchen_20280 ) gegessen habe.
    »Das sind ja schlechte Nachrichten«, sage ich, »ganz schlechte Nachrichten. Wenn ich als Veganerin schlank werden würde, könnte ich die verstockten Fleischesser doch mit der Aussicht auf einen modernen, windschnittigen Körper überzeugen.«
    »Aber das ist doch der völlig falsche Grund«, sagt Steffen Mohr. »Man wird doch nicht Veganer, um schlank zu werden, sondern weil es so einsichtig ist. Eine Sache von Fairness und Menschlichkeit.«
    Während ich mit Steffen Mohr rede, passiert mir wieder, was mir ständig passiert, wenn ich mit einem oder mehreren Veganern zu tun habe. Ich fühle mich beschämt. Dabei hat mir noch kein einziges Mal jemand etwas vorgeworfen oder etwas von mir verlangt. Es genügt allein, dass sie existieren. Sie sind der lebende Beweis dafür, dass eine anständige und gewaltfreie Lebensweise möglich und so schwer dann nun auch wieder nicht ist, und das macht mir meine eigene Charakterlosigkeit schmerzlich bewusst. Daran, dass die vegane Lebensweise die einzige ethisch konsequente Haltung ist, daran habe ich inzwischen keinen Zweifel mehr. Trotzdem bin ich mir noch keineswegs sicher, dass ich tatsächlich für alle Zeiten Veganerin werdenwill. Wenn ich gerade einen Artikel über Schlachthöfe oder Hochleistungskühe gelesen habe, scheint gar keine andere Entscheidung mehr möglich. Wenige Stunden später vermisse ich plötzlich Fleisch, und der Zusammenhang zwischen dem, was ich essen will, und dem, was ich vorhin gelesen habe, ist mir schlagartig entfallen. Erstaunlicherweise aber scheint es nicht nur darauf anzukommen, zu welcher Überzeugung ich selber gelangt bin, sondern auch, welchen Überzeugungen die Menschen anhängen, mit denen ich gerade zu tun habe. Unter Fleischessern denke ich, ich werde in Zukunft eben sehr viel weniger Fleisch und Milchprodukte essen, ein Bruchteil nur von dem, was ich früher gegessen habe. Wenn alle so wenig essen würden wie ich, wäre es schon ganz anders um die Welt bestellt und Massentierhaltung hätte sich auch erledigt. Das ist doch mehr, als man von mir erwarten darf. Wenn ich mit Veganern zusammen bin, habe ich nicht mehr das Gefühl, dass man nicht mehr von mir erwarten darf. Kein Wunder, dass die so ein Imageproblem haben.
    Ich frage Steffen Mohr, wo für ihn die Grenzen der Gewaltfreiheit sind.
    »Was ist, wenn eine Mücke dich sticht, schlägst du die

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