Anständig essen
weg in den Wald hinausbringen, so wie ich es mit der Ringelnatter gemacht habe. Dann hätte ich Pferd und Mulis geschützt, ohne mein veganes Gewissen zu beflecken. Die Sache ist nur: Ich will hier schuldig werden. Ich will verhindern, dass eine umgesiedelte Dasselfliege munter durch den Wald summt und über einen Hirsch oder ein anderes armes Tier herfällt. Tut mir leid, aber ich glaube, die ganze Welt wäre ohne diese Teufelsbrut besser dran. Die sind aus purer Bosheit erschaffen worden. Mir ist schon klar, dass sie nur ihren Hunger stillen und keine andere Wahl haben, als das zu tun, was sie nun einmal tun. Ich halte sie auch nicht für minderwertig. Möglicherweise ist das Leben einer Dasselfliege viel erfüllter und aus einer bestimmten Perspektive deswegen auch schützenswerter oder sogar wertvoller als das der etwas quengeligen und eingesperrten Lebewesen, als die man meine Mulis, mein Pferd und auch mich bezeichnen könnte. Vielleicht ist es die Sache überhaupt, den Großteil seines Lebens sich durch den Körper eines Wirtstieres zu fressen, sich blind mit Fettgewebe, Rückenmark und Schleimhäuten vollzuschmatzen. Vielleicht empfindet eine Dasselfliegenlarve ein Geborgenheits- und Zufriedenheitsgefühl, von dem unsereiner nur träumen kann. Aber das wäre mir auch egal. Ich kann diese hässlichen Mistviecher nicht ausstehen. Sie quälen das, was ich liebe, und das kann und will ich ihnen nicht verzeihen. Also zerquetsche ich weiter Pferdebremsen und Dasselfliegen, dass mir das Blut nur so an den Fingern herunterkleckert. Und später stehe ich dann im Supermarkt und darf keine Haribo-Lakritzschnecken kaufen, weil die einzelnen Teile mit Bienenwachs überzogen sind. Oh, nein, nein, nein, das geht ja gar nicht! Bienen das Bienenwachs wegnehmen, an diesem Verbrechen möchte ich nicht beteiligt sein.
Mitte Juni kriegen wir Nachricht von der Hamburger Filmförderung. Ich will gerade los, vegane Döner für uns zum Mittag holen, als Jiminy mit dem Brief hereinkommt. Wir setzen uns an den Küchentisch. Jiminy öffnet den Umschlag. Es geht um den Film, zu dem ich das Drehbuch geschrieben habe und bei dem Jiminy Regie führen wird.
»Sie müssen uns fördern«, sage ich, »das Drehbuch spielt in Hamburg, und ich bin geborene Hamburgerin. Mehr können die nicht verlangen.«
Jiminy liest stumm. Die Kater Simbo und Freddy schieben scheppernd ihre Näpfe über die Küchenfliesen. Sie versuchen, um das vegane Katzenfutter, das ich ihnen unter ihr übliches Dosenfutter gemischt habe, herumzuessen. Jiminy lässt den Brief sinken und schüttelt den Kopf. Und wir haben so sehr darauf gehofft.
»Ich geh erst mal Rasen mähen«, sagt Jiminy.
»Dann hole ich jetzt die Döner.«
Der Imbissverkäufer in Neuhardenberg macht sie immer extra für uns. Sie bestehen eigentlich nur aus dem heißen Fladenbrot, Salat und einer scharfen roten Soße, deren Zutaten ich mir auf der Plastikflasche durchlesen durfte. Kein einziges Mal hat der freundliche Imbissverkäufer gefragt, was es mit diesem Sonderwunsch auf sich hat.
»Gut«, sagt Jiminy, »aber ich will meinen diesmal mit Kräutersoße.«
Ich schaue sie an.
»Und Schafskäse«, sagt Jiminy.
Normalerweise würde ich als Veganerin ja so eine Bestellung gar nicht annehmen, aber erstens ist Jiminy wirklich sehr geknickt, noch mehr als ich, und zweitens empfinde ich klammheimlich Genugtuung, dass ich moralisch endlich an ihr vorbeiziehen kann. Also Döner mit Schafskäse und unveganer Soße für Jiminy. Was fallen will, das soll man auch noch stoßen.
Ich selber halte bisher ganz gut durch. Ab und zu mache ich noch kleine Fehler. Den ledernen Volvo-Schlüsselanhänger aus dem Autohaus, in dem ich meinen gebrauchten Ford gekauft habe, habe ich zuerst gegen einen gefilzten Fliegenpilzanhänger ausgetauscht. Erst Tage später ist mir eingefallen, dass Filz ja aus Wolle gemacht wird und den Filzpilz gegen ein grünes Kunststoffherz getauscht. Auf meinem Bett liegt immer noch die alte Daunendecke, aber meine Kleidung habe ich bis auf eine einzige Ausnahme – meine Blundstone-Stiefel – jetzt komplett umgestellt. Dank Internetlisten weiß ich inzwischen auch ziemlich genau, welche Lebensmittel für mich noch infrage kommen, und da das nicht so viele sind, erledige ich meine Supermarkt-Einkäufe immer infünf Minuten. Obst, Gemüse, Reis, Nudeln, Nudelsoße und eine Tafel Ritter Sport Marzipan. Ritter Sport Marzipan ist die typische Veganer-Schokolade. Zuerst dachte ich, ich dürfte
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