Anständig essen
die gar nicht mehr existieren. Solche Tiere braucht es nicht wirklich, da bricht auch kein sensibles Bio-System zusammen, wenn es die nicht mehr gibt.«
Na, wenn ihn so viel Speziesismus nicht aus der Reserve lockt, weiß ich auch nicht. Achim Stößer öffnet die verschränkten Hände, dreht die Handflächen nach oben und diagnostiziert: »Das ist dann wohl eher eine emotionale Entscheidung, keine ethische.«
Irrtümlicherweise halte ich das für Nachsicht und will mir nun auch für andere Verfehlungen die Absolution holen. Aber von nun an beiße ich auf Granit. Als ich maule, dass ich nun mal keine Lust habe, ständig in irgendwelchen Läden zu fragen, ob das Backblech, auf dem die Brötchen gebacken wurden, auch ja nicht mit Butter eingefettet worden ist, sagt Achim Stößer bloß: »Du musst ja nur einmal fragen. Ich weiß, wo ich mein Brot kaufen kann.«
»Aber was mache ich mit meinen Katzen, wenn die das vegane Futter nicht mögen? Die eine kriegt auch schon kahle Stellen. Da muss ich doch wieder Fleisch füttern.«
»Zuerst musst du es mit anderer veganer Katzennahrung versuchen, so lange, bis alle veganen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Dann hast du ein ethisches Dilemma, und es liegt nun einmal in der Natur eines Dilemmas, dass es dafür keine einfachen Antworten gibt.«
»Und das Pferd und die Maultiere«, fahre ich fort, »mir ist ja schon klar, dass es speziesistisch war, sie anzuschaffen, aber nun sind sie einmal da. Ich kann sie doch jetzt schlecht in einen Hubschrauber packen und in den Rocky Mountains aussetzen. Und sie brauchen Bewegung, also muss ich sie ja wohl reiten.«
»Du könntest das Pferd vom Fahrrad aus führen. Ich kenne eine Frau, die Veganerin geworden ist und das so gemacht hat. Oder findest du es okay, dich auf einen Sklaven zu setzen und dich von ihm herumtragen zu lassen?«
Am Nebentisch sieht ein junger Mann im Business-Anzug verstört von seinem Laptop auf und zu uns herüber.
»Aber meine Hühner«, sage ich, »zum Teil sind das immerhin befreite Hühner. Und ich kann ja nicht verhindern, dass die jetzt ständig Eier legen. Wieso darf ich die nicht essen?«
»Das ist eine Frage des Respekts. Wenn du sie isst, bedeutet das, dass du sie als Essen betrachtest. Natürlich kann man auch die tote Oma essen, einen überfahrenen Igel oder ein in Gefangenschaft gestorbenes Meerschweinchen, aber ich käme nicht auf die Idee.«
»Und was soll ich dann mit den ganzen Eiern machen?«
»Du könntest sie Tieren geben, die nicht vegan ernährt werden können.«
»… den Katzen zum Beispiel«, werfe ich ein.
»… den Katzen eher nicht. Hühnereiklar ist für Katzen schädlich, weil ihnen ein Enzym zur Verdauung fehlt. Aber Schlangen könntest du die Eier geben.«
»Schlangen?«
»Oder deinen Nachbarn, vorausgesetzt, dass dadurch nicht der Eindruck vermittelt wird, dass Eikonsum akzeptabel wäre – daher ist das eher hypothetisch. Ich hatte auch schon öfter Eier von befreiten Hühnern. Nach Befreiungen findet man ja häufig welche in den Transportkisten. Die habe ich immer weggeworfen.«
»So schnell wird man die Tierhaltung ja nicht abschaffen können«, sage ich schließlich erschöpft. »Was hast du dagegen, wenn bis dahin wenigstens die Haltungsbedingungen verbessert werden?«
»Das zu fordern ist Reformismus.«
»Na und? Was ist gegen ein bisschen Reformismus einzuwenden?«
»Beim Reformismus geht es vor allem darum, das Gewissen zu beruhigen, damit man die Ausbeutung beibehalten kann. Fändest du es in Ordnung, wenn man sagen würde: Gut, Sklavenhaltung ist erlaubt, aber wir einigen uns auf ein paar Mindeststandards, wie die Sklaven gehalten werden müssen?«
»Nein, aber wenn es schon Sklavenhaltung gibt, fände ich es gut, wenn wenigstens die Misshandlung der Sklaven verboten würde. Sobald erst einmal ein gesellschaftlicher Konsens darüber besteht, dass man Sklaven nicht schlagen darf, ist der Schritt auch nicht mehr so weit zu der Erkenntnis, dass Sklaverei an sich ein Unrecht ist.«
»Im Gegenteil, ein Konsens darüber, dass man Sklaven nicht schlagen darf, ist zugleich ein Konsens darüber, dass man Sklaven halten darf. Wer wirklich etwas für Sklaven tun will, reformiert nicht die Sklaverei, sondern schafft sie ab.«
»Verlangst du nicht ein bisschen viel? Letztlich sind Menschen doch auch bloß Säugetiere, die ihren Vorteil suchen. Muss man nicht schon dankbar sein, wenn die sich überhaupt ein paar Gedanken machen und versuchen, etwas anständiger zu
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