Anständig essen
leben?«
»Reicht es, weniger Brandbomben in Asylbewerberheime zu werfen als der Durchschnittsnazi? Soll dein Buch ›Etwas anständiger essen‹ heißen oder ›Nicht ganz so unanständig essen‹?«
Selbst nach drei Monaten, in denen ich mich um Tierproduktfreiheit bemüht habe, entdecke ich in meinem Haushalt immer noch ab und zu einen Gegenstand, der auf Tierausbeutung beruht und den ich bisher übersehen habe – einen Hornkamm zum Beispiel und einmal sogar einen großen schwarzen Kasten, in dem ich meine Landkarten aufbewahre. Das Ding stand die ganze Zeit in Sichtweite meines Schreibtischs, und es ist mir jetzt erst aufgefallen, dass es mit Leder bezogen ist. Unfassbar! Wie viele Produkte in diesem Haushalt auf Menschenausbeutung beruhen, wäre natürlich auch mal eine interessante Frage. Schließlich kullert mir in einer Schublade auch noch eine echte Bienenwachskerze entgegen, inklusive der Plastikbienen, mit denen solche Kerzen gern garniert werden. Ach Gott, ja, die armen, ausgebeuteten Bienen. Mein Mitgefühl hält sich immer noch sehr in Grenzen. Da es sich bei Honigbienen um Wildtiere handelt, sind die Möglichkeiten der Lebensmittelindustrie, sie aus Profitgier zu quälen, sowieso eingeschränkt. Auch bei der Honiggewinnung im großen Stil muss man die Bienen zum Nektarsammeln ausschwärmen und ihr Ding machen lassen. Und dass in einem Bienenstock zeitweise bis zu 60 000 Bienen einander auf der Pelle hocken, liegt nicht an skrupellosen Massentierhaltern. Das machen die freiwillig. Bei Bienen ist platztechnisch nichts mehr zu optimieren. Natürlich ist es nicht nett, wenn in der industriellen Honigerzeugung den Bienenköniginnen die Flügel beschnitten oder sie schon nach zwei Jahren aussortiert, also getötet werden, obwohl sie ihren Job eigentlich fünf Jahre lang machen könnten. Aber dabei handelt es sich pro Bienenstock um ein einziges Exemplar von Zehntausenden. Da trete ich doch schon auf dem Weg zum Vegan-Laden mehr Insekten tot. Manchmal begehen die Bienen sogar selber Königinnenmord – wenn die Königin nicht genug Eier legt. Das Individuum zählt in einem Bienenstock nämlich erschreckend wenig. Bienen stellen den reibungslosen Ablauf des Systems über ihr eigenes Wohl. Und das ihrer Kolleginnen. Wie in einem Orwell’schen Staat kontrollieren die Arbeiterinnen sich ständig gegenseitig, ob ja keine außer der Königin Eier gelegt hat. Hat es doch mal eine getan, wird sofort gepetzt und die anderen Arbeiterinnen oder die Königin selber töten die unerwünschte Brut. Junge Arbeitsbienen, die für die Fütterung und Pflege der Königin zuständig sind, werden mit der Königinnensubstanz – einer Botenstoffmischung, die die Bienenkönigin ständig absondert und die wie eine Droge wirkt – zu widerstandslosen Arbeitssklavinnen gemacht. Und einmal im Jahr werden in der sogenannten Drohnenschlacht alle männlichen Bienen im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Bienenstock geworfen und damit dem sicheren Tod überantwortet. Manchmal sieht man einzelne Drohnen noch an anderen Bienenstöcken betteln, dass man sie doch hereinlassen möge. Klappt aber nie. Selbst dasLeben der Königin ist nicht angenehm – sie legt bis zu 2000 Eier am Tag. Selbstausbeutung, wohin man auch schaut. Man fragt sich, wer von der ganzen Veranstaltung eigentlich etwas hat.
Nun rechtfertigt der Umstand, dass Bienen in einer Staatsform leben, in der die Interessen des Individuums mit Füßen getreten werden, es natürlich noch lange nicht, ihnen den Honig wegzunehmen. Ob nun eine Biene ihren mühsam gesammelten Nektar an die fette Königin und deren Brut verfüttert oder mein Nachbar seine gesamten Ersparnisse in Kursen bei Scientology oder eine Ü-Ei-Sammlung anlegt – das können beide ja wohl halten, wie sie wollen, bzw. wie es ihnen ihr Verhaltensprogramm vorschreibt. Das ist kein Grund, sie zu enteignen. Aber weinen muss ich auch nicht gerade, wenn sie beklaut werden.
Herr B. gibt mir einen weißen, langärmeligen Kittel und einen Imkerhut. Der Kittel sitzt etwas knapp, aber einen größeren gibt es nicht.
»Wikingervorfahren«, sagt Herr B., »Sie haben bestimmt Wikingervorfahren. Eine richtige Wikingerbraut.«
Herr B. ist Freizeit-Imker, wie die meisten Imker in Deutschland. Allerdings kommen 80 % des in Deutschland verwendeten Honigs aus dem Ausland.
»Ich habe gehört, dass Bio-Imker den Bienen einen Teil ihres Honigs lassen«, sage ich, »genug, damit die über den Winter kommen. Oder wenigstens so viel,
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