Anständig essen
dass nur ein Teil durch Zuckerwasser ersetzt werden muss. Wie machen Sie das?«
»Ich nehme natürlich alles«, sagt Herr B. »In diesem Jahr habe ich fünfhundert Pfund geschleudert.«
»Aber wenn Sie so viel Honig geerntet haben – hättenSie den Bienen da nicht ein bisschen übrig lassen können? Schließlich waren es ja auch die Bienen, die dafür gearbeitet haben.«
»Dafür stelle ich ihnen die Zuckerlösung rein. Außerdem sammeln die jetzt schon wieder neu.«
Wir gehen in den schmalen Schuppen auf der Rückseite der Bienenstöcke. Vier Klappen sind in eine Wand eingelassen. Hinter jeder Klappe befindet sich ein Bienenstock. Herr B. schmaucht das Imker-Pfeifchen.
»Wenn die Bienen den Rauch wahrnehmen, denken sie, ein Waldbrand sei in der Nähe. Deswegen nehmen sie jetzt Honig auf, um notfalls damit umziehen zu können, und das macht sie so schwer und träge, dass sie nicht so leicht stechen.«
Er legt die Pfeife zur Seite und öffnet eine Klappe. Dahinter ist der Holzkasten, der den Bienen zur Wohnung dient. Hunderte, Tausende Bienen wuseln durcheinander. Ich kann nur hoffen, dass die alle schön Honig aufgenommen haben und in ihrem Kasten bleiben. Die Waben stecken in Rahmen, die wie bei einer Hängeregistratur in den Holzkasten eingehängt sind. Herr B. nimmt einen heraus und streicht die darauf sitzenden Bienen mit einer Gänsefeder vorsichtig herunter. Dann darf ich den Rahmen halten, während Herr B. eisgekühlte Ameisensäure in den kleinen Flüssigkeitsbehälter füllt, der unten befestigt ist. Die Dämpfe, die entstehen, wenn die Ameisensäure sich erwärmt, sollen die Bienen und ihre Brut vor der Varroa-Milbe schützen. 1977 haben Wissenschaftler aus Oberursel asiatische Honigbienen zu Forschungszwecken eingeführt und dabei auch die besagte Milbe eingeschleppt. Sie ist nur 1,6 Millimeter groß, im Verhältnis zur Bienengröße ist das aber so, als hätte ein Mensch ein blutsaugendes Kaninchen am Körper hängen.
Herr B. ist der Meinung, dass russische Offiziere die Milbe an ihren Stiefelsohlen mitgebracht hätten. Er klemmt den Rahmen wieder zurück in den Holzkasten und schließt die Klappe.
»Jetzt wollen Sie für Ihr Buch natürlich wissen, warum der Honig so gesund ist, nicht wahr?«
»Äh, nein«, sage ich, »in dem Buch geht es mehr um Ethik. Es gibt ja so Leute« – (Oh Gott, habe ich tatsächlich gerade ›so Leute‹ gesagt?) –, »die behaupten, Imkerei sei Tierausbeutung, weil den Bienen der Honig weggenommen wird.«
Herr B. sieht mich erstaunt an, dann wird sein Blick leer, er blinzelt, und dann strahlt er mich wieder an.
»Zweihundert verschiedene Inhaltsstoffe sind im Honig«, sagt er. »Da ist auch nicht einfach bloß Zucker drin, sondern es handelt sich um Zuckerarten, die nicht mehr aufgeschlossen werden müssen. Ich esse jeden Tag einen Löffel Honig und war noch nie krank.«
Er öffnet eine Klappe, auf der mit Kreide das Wort »schwach« geschrieben steht.
»Ein schwaches Volk ohne Königin. Ein anderer würde sie jetzt abschwefeln. Aber ich bin ja ein guter Imker.«
Beim Abschwefeln werden die Bienen getötet, indem man einen Streifen Schwefel in einer Blechdose anzündet und die Blechdose in den – vorher verschlossenen – Bienenstock stellt.
»Oh«, sage ich, »ist das üblich? Im Internet steht, nur die bösen Groß-Imker aus Südamerika schwefeln ihre Kümmervölker ab. Deutsche Nebenerwerbs-Imker würden so etwas nicht tun.«
»Tu ich ja auch nicht. Ich versuche noch, sie durch den Winter zu bekommen. Wenn’s wahrscheinlich auch nicht klappt.«
Auch diese Bienen bekommen ihre Portion Ameisensäure.
»Und wenn die im nächsten Jahr immer noch keine Königin haben«, frage ich, »schwefeln Sie sie dann ab?«
»Nein, ich schwefel nicht. Ich breche die einfach mitsamt den Waben aus dem Bienenstock und lege sie draußen auf den Boden. Dann fressen die Vögel sie. Aber so lange, wie es geht, versuche ich immer noch, sie zu retten.«
Nun ja, in der Natur sterben jährlich etwa 60 % der neu gegründeten Bienenstaaten. Vermutlich vor allem deshalb, weil ihnen niemand einen gegen Nässe und Zugluft geschützten Bienenstock zur Verfügung stellt und Ameisensäure gegen Milben vorbeibringt.
Wir ziehen unsere Imkerkleidung wieder aus. Herr B. erzählt, dass früher alles besser war.
»Aber der Westen hat die DDR ruiniert.«
»Der Westen hat die DDR ruiniert?«
»Der Strauß mit seinem Milliardenkredit. Aber das weiß man ja, dass man einem Kapitalisten nicht
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