Anständig essen
Achim Stößer, Antispeziesist und Gründer der Tierrechtsinitiative Maqi. Für ihn ist einzig die Abschaffung der Ausbeutung akzeptabel, nicht deren Reform. Ich bin etwas nervös, als ich ihm maile. Mit meinem Teilzeit-Veganismus auf Widerruf kann ich wohl kaum erwarten, Gnade vor seinen Augen zu finden. Muss ich ja aber auch nicht.
»Hätten Sie Lust auf ein Interview für mein Buch«,schreibe ich, »es geht natürlich um Ihren ›Vegetarier sind Mörder‹-Artikel im Internet, aber nicht nur.«
»Ja gern«, mailt er zurück. »Ich hoffe, dass mit Ihrem Buch dem momentanen Pseudoteilzeitvegetarismuswischiwaschi-Hype etwas Seriöses entgegengesetzt wird.«
Schluck.
Ich treffe Achim Stößer im Frankfurter Hauptbahnhof, und weil uns nichts Besseres einfällt, gehen wir in die DB -Lounge, die ich als Eisenbahn-Vielfahrer benutzen darf, und setzen uns dort auf unbequeme Hocker. Passt eigentlich ganz gut zu der Situation. Ich duz’ ihn einfach mal: »Im Moment schreiben doch alle Zeitungen kritische Artikel über Massentierhaltung, und es scheint einen Trend zum Vegetarismus oder wenigstens zum eingeschränkten Fleischkonsum zu geben. Freut dich das eigentlich?«
»Dass das Thema so viel in den Medien besprochen wird, könnte sich möglicherweise tatsächlich positiv auswirken. Das lässt sich jetzt kaum abschätzen. Den Inhalt dieser Artikel werte ich aber eher negativ.«
»Aber ist das denn nicht gut, wenn die Leute wenigstens kein Fleisch mehr essen? Das ist doch schon mal ein Schritt …«
»Ein Schritt auf einem Weg, der über Leichen führt. Vegetarier ersetzen ja in der Regel das vermeintlich fehlende ›Fleisch‹ überwiegend durch Eier und Milchprodukte, für die Hühner, Rinder usw. ermordet werden.«
»Hm ja, ich weiß …«
Ich lasse sie schnell noch einmal vor meinem inneren Auge Revue passieren, die gehäckselten Hahnenküken, die Legehühner, die nach einem Jahr Qualhaltung geschlachtet werden, die Kälbchen, die geboren und entsorgt werden müssen, damit eine Kuh Milch produziert,die Kuh, die nach zwei, drei Jahren als Milchmaschine so ausgelaugt ist, dass sie geschlachtet wird …
»Aber die Schweine«, sage ich, »die Schweine sind immerhin raus aus dem Rennen.«
»Ja, die Schweine vielleicht, aber das nützt den ermordeten Hühnern und Rindern nichts.«
»Ja … hm … hm …«
Achim Stößer spricht völlig ruhig und gelassen mit mir, trotzdem zapple ich die ganze Zeit auf meinem Hocker herum.
»Auch Vegetarier sind Mörder«, sagt er und verschränkt die Hände ineinander, »nur essen sie ihre Opfer nicht. Den Tieren ist es aber völlig egal, ob sie nun für den Eikonsum eines Vegetariers gequält und getötet werden oder damit ihre Körper gegessen werden.«
»Aber wenigstens werden für Vegetarier weniger Tiere getötet.«
»Das ist nicht allgemeingültig. Ein Vegetarier, der ein Jahr lang jeden Tag Spinat und ein Ei isst, tötet doppelt so viele Hühner wie ein Nichtvegetarier, der einmal im Jahr eine Hühnerleiche isst.«
Ich rechne irritiert nach. Ja, stimmt. Für diesen Eierbedarf wird ein Huhn ein Jahr lang gequält und anschließend getötet. Plus ein gehäckseltes Hahnenküken. Macht zwei Vögel.
»Ach, hör auf – die Nichtvegetarier essen doch nicht bloß ein Huhn im Jahr. Die essen jeden Tag Fleisch, die essen morgens schon Wurstbrot und außerdem noch ein Ei obendrauf. Also Vegetarismus ist vielleicht ethisch nicht gerade befriedigend, aber du musst doch zugeben, dass es eine Verbesserung ist.«
»Du meinst, wie ein Mörder, der sich von einem täglichen Kindermord auf ein Kind pro Woche gebessert hat?«
»Äh … tja … also ich sag ja, dass es ethisch nicht unbedingt befriedigend ist … – aber für die sechs Kinder, die dann jede Woche nicht umgebracht werden, macht das doch einen Riesenunterschied.«
»Für das eine, das ermordet wird, obwohl das verhindert werden könnte, auch«, sagt Achim Stößer ruhig.
Ich frage ihn, wo seine veganen Grenzen sind, und komme mit meinem Beispiel von den Dasselfliegen, male noch einmal so richtig farbig aus, wie eine Dassellarve sich durch den Körper ihres Wirtstiers frisst.
»Was würdest du denn da machen?«
»Damit kenne ich mich nicht aus, ich müsste mich erst mal informieren, aber eine Möglichkeit wäre, sie einzufangen und wieder im Wald auszusetzen.«
»Aber ich will doch nicht, dass die Mistviecher anderen Tieren das antun, was sie meinem Pferd antun wollten. Das macht es doch nicht besser. Ich will, dass
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