Anständig essen
trauen darf. Was ein Kapitalist mit der einen Hand gibt, das nimmt er sich mit der anderen dreifach. Und danach gingen alle Waren immer bloß in den Westen. Ich habe damals in der Fischwirtschaft gearbeitet. Die dicksten Aale, die schönsten Karpfen. Alles in den Westen, zu Schleuderpreisen. Und wir, die dafür gearbeitet haben, haben gar nichts davon gesehen.«
»Ein bisschen wie bei der Honigernte, nicht?«, sage ich.
»Ja, der Honig, der ging natürlich auch in den Westen«, sagt Herr B. ergrimmt.
»Wie viel Fleisch ist gut für mich?«, fragt die »Bild«-Zeitung und nimmt Jonathan Safran Foers Bestseller › Tiere essen ‹ dafür als Aufhänger – als ginge es darinnicht um die Brutalität der Massentierhaltung, sondern um den Cholesterinspiegel. Fazit: »Sie können praktisch unbegrenzt viel Fleisch essen – jeden Tag ein Steak birgt kein Risiko.« Auf die Frage, ob Vegetarier gesünder leben, antwortet sich die Zeitung selber mit einem fett gedruckten Nein mit Ausrufezeichen. Und Biofleisch sei zwar »teurer […], aber nicht unbedingt besser«.
Am 28. August findet in Dortmund der erste Deutsche Kirchentag »Mensch und Tier« statt. Ich bin völlig überrascht. Bislang haben sich die Kirchen ja nicht gerade dadurch hervorgetan, die Tiere unter ihren Schutz zu stellen. Obwohl sich einzelne, christlich orientierte Tierschützer redlich Mühe geben, die Bibel in ihrem Sinn zu interpretieren, steht im ersten Buch Mose (9,2) nun einmal: »Furcht und Schrecken vor euch komme über die Tiere.« Oder wie wäre es damit: »Alles was feil ist auf dem Fleischmarkt, das esset, und forschet nicht, auf dass ihr das Gewissen verschonet.« (1.Kor 10,25). Der katholische Katechismus verschont das christliche Gewissen auch vorm Grübeln über Hunde, die in Laboren gequält werden. Er wertet Tierversuche als sittlich zulässig und hält es für »… unwürdig, für sie (die Tiere) Geld auszugeben, das in erster Linie menschliche Not lindern sollte« (Nr. 2418). Der evangelische Erwachsenenkatechismus verliert gar nicht erst ein Wort darüber, wie Tiere in unserer Gesellschaft behandelt werden, und bezeichnet sie als nicht-personale Kreaturen. Auch vor dem Paradies steht immer noch das Schild: Tiere müssen leider draußen bleiben. »Nein. Tiere besitzen keine Seele nach Art des Menschen«, äußerte sich Hw. Dr. theol. Adolf Fugel am 27. März 2006 auf www.kreuz.net. »[…] Darum kann es weder ein Jenseits für Tiere geben, nochdürfen einem Tier menschliche Eigenschaften zugesprochen werden.« Was praktisch wohl bedeuten soll, dass Barmherzigkeit und Mitgefühl hier völlig fehl am Platze seien. Die Religion der Nächstenliebe sieht Tiere einfach nicht als ihre Nächsten an.
Bisher jedenfalls. Doch nun gibt es tatsächlich einen Kirchentag »Mensch und Tier«, und Zehntausende Christen aus aller Welt werden nach Dortmund kommen, um zu beten, Gitarre zu spielen und sich zum Mitgeschöpf zu bekennen. Möglicherweise habe ich der Kirche bislang unrecht getan. Als in diesem Jahr all die Fernsehberichte über die unzähligen Missbrauchsfälle und Misshandlungen in christlichen Einrichtungen liefen und über die Vertuschungsversuche bis in die höchsten Ämter, habe ich mich schrecklich aufgeregt, wie Institutionen, die sich als moralischer Vorreiter und Sittenwächter begreifen, so deutlich unter dem Moralniveau der von ihr gehüteten Schäfchenherde agieren können. Aber jetzt sieht es plötzlich so aus, als würde zumindest mal die evangelische Kirche zu ihrer Vorbildfunktion stehen und moralische Maßstäbe setzen. Vielleicht kommen ja sogar ein paar prächtige katholische Bischöfe vorbei, um die schreckliche Weichenstellung ihres Glaubens dahingehend zu korrigieren, dass wir nicht nur vor Gott und Ungeborenen, sondern vor allem Leben Ehrfurcht empfinden sollen.
Erst drei Tage vorher klärt mich jemand auf, dass es sich beim Dortmunder Kirchentag »Mensch und Tier« nicht um den »Evangelischen Deutschen Kirchentag« handelt, das Riesenevent mit hunderttausend Besuchern, das alle zwei Jahre in wechselnden deutschen Großstädten abgehalten wird, sondern halt um, nun ja, eben etwas Kleineres, ein anderer Kirchentag, angestoßen undverantwortet von der »Aktion Kirche und Tiere e. V.«. Katholische Bischöfe werden da eher nicht auftauchen, die fahren nämlich an genau demselben Termin nach Würzburg zum Kongress »Freude am Glauben«, um dort über die »unselige Homoehe«, die »mediale Verleumdungskampagne« gegen
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