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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Erklärungen ein. Entweder das Schnabelkürzen nützt überhaupt nichts, oder die Hühner werden bei dieser Haltung so aggressiv, dass sie sich mit intakten Schnäbeln gegenseitig zu Tode picken würden. Das ist es, was man verhindern will. Dass die Hühner sich gegenseitig eine Feder nach der anderen ausreißen, bis sie irgendwann splitternackt sind, wird billigend in Kauf genommen, solange sie nur ein paar Monate durchhalten und dabei Eier legen.
    Peter hält mir eine geöffnete Katzenbox hin. Ich schaue zu den Hühnern hoch, die knapp über meinem Kopf auf dem Blechregal sitzen. Die Hühner sehen missbilligend auf mich herunter. Ich muss an diese esoterische Vorstellung denken, dass nach dem Tod alle Tiere, die man im Laufe seines Lebens so gegessen hat, auf einen warten und einen ansehen. Genauso schauen diese Hühner mich an.
    »Ach Gott, welches soll ich denn jetzt nehmen«, sage ich.
    »Ich nehme immer irgendwelche«, sagt Peter. »Manche retten lieber die, die am schlimmsten aussehen. Aber genauso gut kann man auch sagen: Die haben es wenigstens bald hinter sich, und ein Huhn nehmen, das noch eine längere Leidenszeit vor sich hätte.«
    Ich greife mir dann doch die eher zerfledderten Hühner, die, deren Leid aktuell am größten ist. Eigentlich hätte ich am liebsten Tiere aus einem Versuchslabor befreit, Beagle zum Beispiel, denen man zur Erforschung von Parodontitis Löcher in den Kiefer bohrt, und in einem solchen Labor hätte ich dann gern auch noch alles zu Klump geschlagen. Aber erstens weiß ich nicht, wer meine Maultiere und das Pferd versorgen soll, wenn ich inhaftiert werde, zweitens würde es mich ganz krank machen, an so ein Institut am Ende womöglich noch Schadensersatzzahlungen leisten zu müssen, mit denen die dann ihre Versuche fortsetzen, und drittens zerreiße ich ja schon bei einer einfachen Hühnerbefreiung vor Aufregung meine Gummihandschuhe. Vierundzwanzig Hühner nehmen wir mit, in jeder Katzenbox zwei. Niemandem wird je auffallen, dass sie fehlen.
    Auf dem Rückweg warten wir mit unseren Transportboxen voller Hühner im Gebüsch auf den Kleinbus. Peter geht zielstrebig zu einem großen Blechkasten, den ich für einen Kasten mit Streusand gegen Glätte gehalten habe. Er winkt mich heran und leuchtet mit seiner Taschenlampe hinein. Der Kasten ist randvoll mit toten Hühnern.
    Als wir alle wieder im Bus sitzen, bin ich ziemlich niedergeschlagen.
    »Oh, Mann«, sage ich, »das geht einem ja furchtbar an die Nieren. Jetzt haben wir zwar 24 Hühner gerettet, aber für jedes Huhn, das wir mitgenommen haben, haben wir ein paar Tausend zurückgelassen, die das weiter aushalten müssen. Macht euch das überhaupt noch Spaß?«
    Die anderen sehen mich etwas erstaunt an.
    »Was meinst du mit Spaß?«
    »He, kommt«, sage ich, »das war doch ziemlich aufregend eben. Nun tut nicht so, als ob euch das keinen Spaß gemacht hätte …?«
    »Ich mache das jetzt seit zehn Jahren«, sagt Peter, »da ist das nicht mehr aufregend. Langsam geht es ganz schön an die Substanz, sich immer wieder die Nächte um die Ohren zu schlagen. Bis wir zu Hause sind, ist es vier. Das heißt, der morgige Tag ist auch gelaufen. Ich habe ja schließlich auch noch einen Beruf. Und bis sich der Körper nach so einem Wochenende wieder erholt hat, steht manchmal schon die nächste Befreiung an.«
    »Warum machst du das denn so oft?«, frage ich.
    »Um so viele Tiere wie möglich da rauszuholen.«
    Jiminy ist für zwei Monate weg. Sie arbeitet jetzt in Köln für eine Fernsehserie. Aber Beate kommt, um die neuen Hühner zu besichtigen. Sie ist angemessen erschüttert.
    »Nicht nur die ausgerissenen Federn … die Kämme sind auch ganz bleich, die sind ja überhaupt nicht durchblutet.«
    »Tja«, sage ich, »so sehen sie aus, die Hühner, die die schönen braunen Eier aus Bodenhaltung legen.«
    Auch bei mir sind die befreiten Hühner nicht im Paradies gelandet. Auch hier sind sie erst einmal eingesperrt, und die bereits vorhandenen Hühner picken nach ihnen und verjagen sie vom Futternapf. Der dicke Piepsi hackt die Neuen mit Vorliebe in die sowieso schon kahlen Stellen. Ich kann da gar nicht hinsehen, wie der Schnabel auf das pinkfarbene Fleisch trifft, unter dem sich diezarten Flügelknochen abzeichnen. Aber jetzt können die Hühner wenigstens ausweichen. Es gibt einen Auslauf mit niedrigen Büschen, unter denen sie sich verstecken können. Und in ein paar Tagen werden sich alle aneinander gewöhnt und eine klare Rangfolge

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