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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Frutarier, aß nur Obst. Mittlerweile bin ich, wie jeder andere auch, ein Abfalleimer«, soll er angeblich mal gesagt haben. Als ich endlich jemanden treffe, der wenigstens einen Frutarier kennt, kann auch der mir keinen Kontakt vermitteln, weil er den Frutarier beim Jugendamt angezeigt hat. Der Frutarier hatte auch sein Kind frugivorisch ernährt, wovon dem Kind die Zähne ausgefallen waren. Dem Vegetarierbund in Berlin ist ebenfalls kein Frutarier bekannt, man verweist mich jedoch an einen Herrn Anko Salomon, Gründer und Vorsitzender der Naturangesellschaft. Dessen Lebensauffassung würde am ehesten in diese Richtung gehen. Ich rufe Herrn Salomon an. Leider hat er gerade überhaupt keine Zeit, verspricht aber, mir ein Buch zum Thema zu schicken. Ich möchte es natürlich bezahlen, aber das will Herr Salomon wiederum nicht. Schließlich einigen wir uns darauf, dass ich das Geld an die Hundehilfe Nepal überweisen darf. Der entscheidende Tipp kommt am Ende von Susanne Starck von der Tierrechtsorganisation »Die Tierfreunde«, die mich darauf aufmerksam macht, dass in verschiedenen Internetforen immer mal wieder jemand namens »Fruchtesser« auftauche, bei dem es sich offenbar um einen Frutarier handle. Ich schicke ihm eine Mail mit meiner Adresse und Telefonnummer und einigen Fragen zum Frutarismus. Eine Woche später mailt Fruchtesser zurück, dass er gerade überhaupt keine Zeit habe, sich aber später meinen Fragen widmen wolle. Ich bin etwas verblüfft, dass Frutarier genauso unter Zeitdruck zu stehen scheinen wie unsereiner. Irgendwie habe ich wohl erwartet,dass jemand, der sich der Normalität der Gewalt in unserem Alltag komplett entzieht, den ganzen Tag in der Sonne sitzt und den Schmetterlingen zuschaut. Achtsamkeit und Stress, das passt doch irgendwie nicht zusammen.
    Drei Tage später ruft mich Fruchtesser plötzlich an. Er hat sich entschlossen, mit mir ein Gespräch zu führen, weil wir ja Kollegen sind, denn er hat ebenfalls ein Buch geschrieben, wenn er sich dann auch entschieden hat, es nicht drucken zu lassen – der Bäume wegen.
    »Na, jetzt gibt es ja E-Book«, sage ich.
    »Ach, mich interessiert das alles nicht mehr …«
    Fruchtesser erzählt, dass er schon als Kleinkind Frutarier war – Fruktarier nennt er es.
    »Ich habe meine Mutter gefragt, was die Menschen im Paradies gegessen haben, und meine Mutter hat gesagt: Früchte.«
    Von da an war die Sache klar. In der Schule ließ sich das jedoch nicht durchhalten, später auch schlecht, aber nach eine Übergangsphase, in der er sich bereits über einen langen Zeitraum zu 95 % fruktarisch ernährte, wurde Fruchtesser vor etwa 15 Jahren zum reinen Früchteesser.
    »Was essen Frutarier … – ich meine Fruktarier denn nun eigentlich?«
    »Reife Früchte der Saison und ab und zu auch mal Samen und Nüsse. Nicht zu viele Nüsse. Vielleicht zwanzig im Jahr. Haselnüsse sind gut.«
    »Zählt Getreide auch dazu? Das sind doch eigentlich auch Samen.«
    »Nein, kein Getreide. Ich esse kein Getreide, weil es in Monokulturen angebaut wird. Aber du kannst es natürlich essen, wenn du willst. Man darf alles essen, man muss nur die Hintergründe sehen. Wenn du unbedingtGetreide essen willst, dann solltest du dir Hirse kochen. Es gibt Fruktarier, die würden in einer Notsituation auch ein überfahrenes Tier von der Straße nehmen und zubereiten. Etwa, wenn eine Ernte ausfällt. Die meisten Fruktarier würden allerdings eher pranisieren.«
    »Äh … was?«
    »Durch Prana überleben.«
    Später google ich das: Prana bedeutet im Hinduismus so viel wie Lebensenergie, Atem. Seit etwa zehn Jahren kursiert die Prana-Lehre verstärkt in esoterischen Kreisen. Wer sich durch Prana – also feinstoffliche Lichtnahrung – ernährt, braucht angeblich weder zu essen noch zu trinken. Im April diesen Jahres erregte der 83-jährige Hindu Prahlad Jani Aufsehen, der laut eigener Aussage seit 70 Jahren weder gegessen noch getrunken hatte, was in einem indischen Krankenhaus unter ständiger Videoüberwachung und unter wissenschaftlicher Kontrolle bewiesen werden sollte. Der Neurologe Sudhi Shah vermutete laut »Bild«-Zeitung, dass Prahlad Jani kosmische Energie aus dem Licht der Sonne ziehe und in seinem Körper eine Art Photosynthese stattfinde. Jani selbst behauptete allerdings, von einer Hindu-Göttin gesegnet worden zu sein und seitdem einen Nektar durch ein Loch in seinem Gaumen zu empfangen. Der Versuch bewies und widerlegte nichts und wurde von verschiedenen Seiten als

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