Anständig essen
tagelang herumlaufen, sind natürlich auch kein schöner Anblick. Sieht so aus, als hätte ich das Schlupfloch, doch noch Fleisch essen zu dürfen und trotzdem anständig zu bleiben, immer noch nicht gefunden. Vielleicht gibt es so etwas einfach nicht.
Ich rufe meinen Bruder mit dem Handy an und konfrontiere ihn mit meinen neuen Erkenntnissen und Überlegungen zur Jagd.
»Totaler Quatsch«, sagt mein Bruder, »so ein Reh, das wiegt doch grad mal 15 Kilogramm. Das stirbt sofort am Schock. Die Munition pilzt ja auf. Dadurch verliert das Reh sofort viel Blut. Das macht höchstens noch zwei Schritte.«
»Und wie oft schießen Jäger daneben?«
»Vom Hochsitz aus trifft man eigentlich immer, wenn man sich nicht blöd anstellt. Ein stehendes Reh kann man gar nicht verfehlen. Das passiert eher bei Treibjagden, wenn da plötzlich die Wildschweine aus …«
Das Gespräch bricht ab, der Zug ist in ein Funkloch geraten. Ich lese mir die Prospekte der Tierschutz-und Tierrechteorganisationen durch, die ich auf dem Markt der Möglichkeiten gesammelt habe. Im Magazin von Provieh steht, dass die niedersächsische Firma Petri-Feinkost im Landkreis Holzminden ein Pilotprojekt zur industriellen Haltung von Ziegen starten will: 7500 Ziegen in drei Großställen zu 50 mal 80 Meter = 1,6 qm Platz pro Ziege. Auslauf und Weidehaltung sindnicht vorgesehen. Eine Ziege, die einmal den Stall betreten hat, sieht das Tageslicht nicht wieder, bis es zum Schlachter geht. Seltsam, dass einem die Massentierhaltung noch schrecklicher vorkommt, wenn sie ein Tier betrifft, das bisher davon verschont geblieben ist. Ich schaue auf das Datum des Magazins. Ausgabe 04/2009. Womöglich gibt es die Massentierhaltung für Ziegen bereits.
In den Hochglanzprospekten von Gut Aiderbichl, dem »Paradies für gerettete Tiere, zauberhaft in den Bergen Salzburgs gelegen« und bekannt durch Weihnachtssendungen mit Patrick Lindner und Uschi Glas, ist die Welt hingegen noch in Ordnung. Ein Artikel erzählt, wie einmal jemand von einem Versuchslabor bei Gut Aiderbichl anrief. Zwei ehemalige Versuchsschweine sollten getötet werden, und das tat demjenigen so leid. Ob sie nicht Aufnahme in Gut Aiderbichl finden könnten. Der Chef persönlich machte sich mit einem Anhänger sofort auf den Weg, die Schweinchen abzuholen. Und als er ankam, da hatten alle Angestellten noch schnell zusammengelegt und konnten den Schweinen so noch eine Mitgift von 2000 Euro mit auf den Weg geben. Oder war es sogar noch mehr? Ich kann es nicht mehr überprüfen, weil ich den Prospekt samt seiner Großanzeige für Nestlé sofort angeekelt in die blaue Tüte der vorbeikommenden ICE -Putzkolonne gestopft habe. Jetzt verstehe ich etwas besser, warum sich Achim Stößer über Reformismus aufregt. Es gibt ja einen einfachen Lackmustest, falls man nicht weiß, ob es in Ordnung ist, Tieren etwas Bestimmtes anzutun: Man muss sich bloß fragen, ob es okay wäre, wenn Menschen so behandelt würden. Fände man diese Geschichte also immer noch rührend, wenn darin ein Folterknecht in einem Heim für geschlagene Frauen anriefe und sagenwürde: »Hier sind noch zwei Frauen, die sollen jetzt getötet werden, und das tut uns so leid, nachdem wir monatelang Medikamente und Operationstechniken an ihnen ausprobiert haben. Die anderen Folterknechte und ich haben sogar für die Frauen zusammengelegt, damit die ersten Kosten gedeckt sind«?
Zu Hause schaue ich gleich im Internet nach, was aus den Plänen der Firma Petri, Ziegen in Massentierhaltung unterzubringen, geworden ist. Erfreulicherweise nichts. Jedenfalls nicht in Niedersachsen. Es waren allerdings eher Landschaftsschutz- als Tierschutzgründe, die den Kreistag Holzminden bewogen, keine Genehmigung zu erteilen. Vermutlich versucht es die Firma Petri jetzt woanders.
Wo ich schon einmal im Internet bin, schaue ich auch gleich noch einmal nach, was für oder gegen einen sofortigen Tod des Rehs beim Blattschuss spricht. Dagegen spricht die Tatsache, dass die Scharfschützen der Polizei beim sogenannten »Finalen Rettungsschuss« immer auf den Kopf des Geiselnehmers zielen. Die Polizei ist also der Meinung, dass sofortige Handlungsunfähigkeit nicht durch Schüsse aufs Herz, sondern nur durch Ausschalten des zentralen Nervensystems, also durch Treffer in Klein- oder Stammhirn sicher hergestellt werden kann. Eine Jäger-Website vertritt wiederum die Meinung, dass durch die starke Blutung bei einem Blattschuss der Blutdruck eines Tiers schlagartig abfällt und
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