Anständig essen
40 000 von Jägern erschossenen Hunde hätten tatsächlich gewildert und jeder einzelne, ob Husky, Pekinese oder Chow-Chow, wäre dabei auch noch erfolgreich gewesen. So wären dabei doch nicht mehr als 40 000 Rehe auf der Strecke geblieben.
»Demgegenüber stehen eine Million Rehe, die jedes Jahr von Jägern gewildert werden«, ruft Jagdgegner Marc Buchtmann am Schluss der Podiumsdiskussion. Frenetischer Applaus vom Publikum. Das Gesicht des Vorsitzenden der Kreisjägerschaft verfärbt sich ein bisschen.
Nach der Podiumsdiskussion besuche ich Marc Buchtmann an seinem Anti-Jagd-Stand auf dem leider ebenfalls schlecht besuchten »Markt der Möglichkeiten«. Ich hoffe immer noch, ein Schlupfloch zu finden, das mir erlaubt, vielleicht doch noch – ganz selten nur, bloß manchmal – ein Stück Fleisch essen zu können. Vielleicht etwas Wild? Dadurch, dass Wölfe, Luchse und Bären in der Kulturlandschaft Deutscher Wald fast überall ausgerottet sind, können doch zumindest große Tiere wie Rehe, Hirsche und Wildschweine ein relativ sorgloses Leben ohne ständige Verfolgung führen. Vor allem aber führen sie ein Leben ohne drangvolle Enge, Anbindehaltung und Spaltenböden. Ein blutrünstiges Ende in den Fängen eines Raubtiers bleibt ihnen ebenso erspart wie der langsame Hungertod in eisigen Wintern, denn die Jäger füttern ja fleißig zu. Dass jedes Jahr eine bestimmt Anzahl Rehe, Hirsche und Schweine geschossen werden muss, um eine Überpopulation zu verhindern, scheint mir plausibel. Die müssten ja wohl auch geschossen werden, wenn man sie nicht essen wollte.
Marc Buchtmann erklärt mir, dass die Jäger das Problem nicht lösen, sondern erst erzeugen. Im Schweizer oder in den italienischen Nationalparks, wo die Jagd verboten ist, gebe es ja auch keine Überpopulation. Erst durch die Winterfütterung wird der Bestand künstlich hochgehalten, und zwar so hoch, dass er die Wälder nachhaltig schädige. Außerdem fände so keine natürliche Auslese mehr statt.
So richtig überzeugt bin ich nicht. Natürlich füttern die Jäger im Winter nicht aus Tierliebe, sondern um in der nächsten Saison möglichst viel abballern zu können. Und natürlich greift das in den natürlichen Ausleseprozess ein. Aber mir als asthmatischer Brillenträgerin mit orthopädischen Problemen ist der Gedanke,dass nicht nur die kerngesunden und fitten Tiere, sondern auch ein paar fußkranke Schwächlinge den Winter überstehen, gar nicht so unsympathisch. Und mir will auch nicht einleuchten, warum ein wochenlanges Sterben durch Verhungern einem gut gesetzten Schuss von einem Jäger, mag er auch noch so unsympathisch sein, vorzuziehen sein soll. Bloß weil das eine natürlich ist, und das andere nicht?
»Also, erst mal treffen die oft gar nicht richtig«, sagt Marc Buchtmann, »und die angeschossenen Rehe schleppen sich manchmal noch tagelang durch den Wald. Und selbst wenn das Tier angeblich sofort tot ist – was heißt denn das? Jäger definieren aus gutem Grund ›sofort tot‹ als ›bis zu 180 Sekunden‹. Blattschuss bedeutet ja, dass der Schuss ins Herz geht. Und was passiert, wenn man ins Herz schießt? Das Tier verblutet – und das kann eben bis zu drei Minuten dauern.«
Mein Bruder, der früher auch mal gejagt hat, hat mir das anders erzählt. Wenn der Jäger richtig trifft, ist das Reh sofort tot. Das fällt um, bevor es den Schuss gehört hat.
»Wenn ein Reh sofort umfällt, liegt das bloß an der Wucht des Aufpralls«, sagt Marc Buchtmann.
Stimmt das? Ratlos verlasse ich den Markt der Möglichkeiten. Dr. Helmut F. Kaplan (»Die Schuld der Kirche am Elend der Tiere«) und Prinzessin Maja von Hohenzollern (»Das Tier zwischen Ware und Würde«) habe ich aber sowieso schon verpasst. Bliebe noch der Ex-»Popstars«-Gewinner Markus Grimm, der morgen früh aus »Fleckies Reise« lesen wird. Mit anschließendem Fleckie-Malwettbewerb. Ich setze mich dann doch schon in die Bahn und fahre wieder nach Hause.
Gegen einen sofortigen Tod beim Blattschuss spricht natürlich auch die Tatsache, dass in Schlachthöfen dieTiere nicht als Erstes einen Herzstich, sondern einen Bolzenschuss in den Kopf bekommen. Nur dort kann man die Empfindungsfähigkeit einigermaßen sicher ausschalten. Aber ein Reh in den Kopf zu schießen, erfordert vermutlich größere Treffsicherheit, als den Rumpf zu treffen, könnte außerdem die Trophäe zerstören, und Rehe, denen zum Beispiel der Unterkiefer abgeschossen worden ist und die so verstümmelt noch
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