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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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unwissenschaftlich kritisiert, weil nicht ausreichend sichergestellt worden war, dass Jani nicht doch heimlich an Wasser kam. Eine der wichtigsten westlichen Vertreterinnen des Pranismus ist die Australierin Jasmuheen, bürgerlich Ellen Greve, eine ehemalige Bankangestellte, die jetzt esoterische Seminare leitet, medial mit einem verstorbenen Mitglied einer »Großen Weißen Bruderschaft« verbunden ist und behauptet, dass ihre DNA aus zwölf statt wie bei allenanderen Lebewesen nur aus zwei Strängen besteht. Jasmuheen behauptete auch, sie würde sich seit 1993 ausschließlich von Prana ernähren, und hat ein Buch mit einer Anleitung zur Lichternährung geschrieben. Nachdem sie mehrmals beim Essen gewöhnlicher Nahrungsmittel beobachtet worden war, sagte sie, es sei für ihre Lehre irrelevant, ob sie esse. Für drei Menschen ging der Versuch der Lichternährung tödlich aus. Vermutlich starben sie an Organversagen, weil in der ersten Woche des dreiwöchigen Prozesses zur Umstellung auf Lichtnahrung kompletter Flüssigkeitsentzug gefordert wird. Jasmuheen wies eine Mitschuld zurück und sagte über eine der drei Toten: »Sie war nicht rein (im Sinne von ›reine Aura‹) und hatte auch nicht die richtige Motivation.« Immerhin propagiert sie jetzt einen »sanften Weg zur Lichtnahrung«, bei dem man wohl auch in der ersten Woche trinken darf.
    »Kennst du eigentlich noch andere Fruktarier?«, frage ich Fruchtesser. »Seid ihr irgendwie vernetzt oder gibt es eine Vereinigung?«
    »Ach, es gibt ja auf der ganzen Welt vielleicht bloß 1000 Fruktarier. Vielleicht auch 10 000. Wir waren schon immer Einzelkämpfer. Interessant ist, dass wir alle fast synchron geboren wurden. Ich lebe mehr so wie ein Eremit. Zurzeit lebt eine sehr liebe Freundin bei mir, aber sonst lebe ich ein bisschen wie ein Eremit. Das ist die beste Gesellschaft. Die Fruktarier haben auch die unterschiedlichsten Gründe – gesundheitliche Gründe oder ethische, pathologische, religiöse Gründe. Die gewaltlose Ernährung in der Gesellschaft – wie oft ist das Rad jetzt erfunden worden? Du bringst die absolute Meisterleistung, wenn du wirklich eins mit dir bist. Es ist völlig in Ordnung, Hirse zu essen, wenn du Hirse essen willst. Braunhirse kannst du auch roh essen. Aber Getreide isteigentlich Vogelfutter. Ich bleibe bei meinem Weg, der Mensch ist ja schon von der Anatomie her Frugivore, und Adam und Eva haben im Paradies Früchte gegessen. Das war noch vor der Kontinentalspaltung.«
    »Vor der Kontinentalspaltung? Hm … tja … vermutlich … das war wohl noch vor der Kontinentalspaltung.«
    »Es ist ja auch so, dass alte Menschen oft lieber alte, reife Früchte essen und junge Menschen lieber junge, unreife Früchte mögen, man muss darauf hören, was man braucht.«
    »Hast du nie Mangelerscheinungen gehabt?«
    »Nein, ich fühle mich viel, viel besser, seit ich mich so ernähre. Es macht einen friedlicher und cooler. Und wenn man nicht gern kocht, dann ist das die bequemste Lebensweise überhaupt. Diesen Vitamin-B12-Mangel, den gibt es ja überhaupt erst seit 1950, seit bestimmte Chemikalien in der Landwirtschaft zum Einsatz kommen und die Bakterienkulturen zerstören.«
    »Vermisst du nichts? Also ich selber finde es sehr schwer, nur Früchte zu essen.«
    »Ja, man muss sich erst daran gewöhnen. Wir sind dermaßen in Nahrungsmittelabhängigkeiten gefangen, dass eine solche Nahrungsumstellung wie ein Drogenausstieg sein kann. Ich habe über zehn Jahre gebraucht, um mich daran zu gewöhnen.«
    »Das ist aber ganz schön lang.«
    »Was isst du denn so? Isst du Äpfel?«
    »Ich esse zweimal am Tag einen Topf mit grünen Bohnen oder Erbsen in Kokosnussmilch«, sage ich, »und sonst Obst. Manchmal ist da auch ein Apfel dabei.«
    Fruchtesser empfiehlt mir, mehr Äpfel zu essen. Oder Hirse, wenn ich das unbedingt bräuchte.
    »Ich spüre, dass du ein lieber Mensch bist«, sagt Fruchtesser.
    »Ja … hm … meinst du …?«
    »Ich weiß ja, dass du Taxifahrerin gewesen bist, und ich kenne auch zwei Taxifahrer, die besonders liebe Menschen sind. Ich wünsche dir, dass es dir gut geht.«
    »Äh … danke. Ich wünsche dir auch, dass es dir gut geht.«
    »Danke. Ruf mich an, wenn du noch Fragen hast«, sagt Fruchtesser.
    Ich wache mit einem leichten Schwindelgefühl und einem Pochen in den Schläfen auf. Vielleicht hat Fruchtesser recht mit seiner Theorie von den Nahrungsmittelabhängigkeiten. Ich fühle mich jedenfalls wie auf Drogenentzug. Und sehr

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