Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
Vom Netzwerk:
CIA zusammen. Zu seiner Überraschung zeichnete das Gerät eine Kurve auf, die beim Menschen positive Erregung bedeutet hätte. Lages daran, dass er sie kurz zuvor gegossen hatte? Backster beschloss, eines der Blätter mit einem Streichholz anzubrennen. Der Lügendetektor zeichnete eine dramatische Angst-Kurve auf – und zwar bevor er das Streichholz auch nur angezündet hatte. In einem späteren Experiment konnte eine Pflanze aus mehreren Menschen sogar den Mörder einer zweiten Pflanze identifizieren, der diese in ihrem Beisein aus dem Blumentopf gerissen und zertrampelt hatte. Die Angstkurve schlug nur in seiner Anwesenheit aus.
    Hobbygärtner wissen längst, dass Pflanzen auf Schädigung reagieren. Einer gab mir einmal den Tipp, meinen Apfelbaum im Herbst nicht nur zu beschneiden, sondern mit dem Spaten auch noch rundherum absichtlich mehrmals in die Wurzeln zu hacken. Das würde den Baum so unter Stress setzen, dass er in der kommenden Saison wie verrückt Äpfel tragen würde. Ich habe es nicht ausprobiert, bekam die Sache aber noch von verschiedenen Seiten bestätigt. Mich erinnerte das sofort an die große Zahl von Kindern, die gezeugt werden, bevor Männer in den Krieg ziehen, oder die erhöhte Libido bei Tuberkulosekranken im fortgeschrittenen Stadium. Schnell, schnell noch ein paar Gene in die Welt setzen, bevor von einem Prachtexemplar wie mir nichts mehr auf der Erde zu finden ist. Ein Baum zeigt auf eine ähnliche Erfahrung also eine ganz ähnliche Reaktion wie der Mensch. Die Frage ist nur, ob zwischen Erfahrung und Reaktion auch bei ihm ein Empfinden dazwischengeschaltet ist. Für einen Baum, der nicht in der Lage ist, wegzulaufen, wenn ich mit dem Spaten in seine Wurzeln hacke, oder für eine Büropflanze, die ihre Blätter nicht wegziehen kann, wenn Cleve Backster ein Streichholz darunterhält, macht die Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden, ja nicht besonders viel Sinn.
    Nun ist es aber leider nicht so, dass Lebewesen grundsätzlich nur Eigenschaften und Merkmale besitzen, die sie benötigen. Männer und andere männliche Säugetiere verfügen zum Beispiel über Brustwarzen, ohne dass sie damit jemals ihre Jungen säugen könnten. Wichtig ist nur, dass so ein nutzloses Attribut einen nicht im Überlebenskampf behindert. Die scheinbar so eindeutige Welt der Pflanzen birgt möglicherweise ein paar unerwünschte Überraschungen. Einige Biologen gehen bereits so weit, ihnen nervenähnliche Strukturen zuzugestehen. Bei der Reizübertragung spielen Phytohormone eine Rolle, die mit den schmerzauslösenden Gewebshormonen beim Menschen verwandt sind. Zu sagen, dass Pflanzen keine Schmerzen empfinden können, ist beim gegenwärtigen Wissensstand genauso spekulativ, wie zu sagen, sie hätten welche. Ob Bakterie, Alge, Pilz, Pflanze oder Tier (inklusive Menschentier) – wir alle sind Lebewesen mit einem gemeinsamen Ursprung, und der Übergang zwischen den einzelnen Lebensformen ist ein fließender. In derselben Ursuppe entstanden, mit demselben Protoplasma-Batzen als Vorfahren, bewohnen wir alle denselben Planeten. Warum sollten wir also völlig unterschiedlich sein? Ich hoffe, das ist jetzt kein Schock, aber die genetische Übereinstimmung des Menschen mit einem Hefepilz beträgt bereits 30 bis 35 %. Auch Bruder Baum und Schwester Schnittlauch gehören zu unseren Verwandten, ob es uns passt oder nicht. Wie alle Tiere und wie auch die Pflanzen bestehen Menschen aus Zellen mit Zellkernen und besitzen eine doppelsträngige DNA . Die Milchversorgung der Jungtiere gibt es nicht nur bei uns Säugetieren oder bei den Bienen, die mit einer ganz ähnlichen Emulsion ihre Maden füttern – auch die Sojabohne bietet der keimenden Sojasprosse eine milchähnliche Nahrung. Deswegen lässtsich Kuhmilch in Rezepten so gut durch Sojamilch ersetzen. Pflanzen müssen schlafen, und wenn man sie daran hindert, sterben sie irgendwann – wie wir. Pflanzen bekommen es mit, wenn sie ein Problem haben, sie können auf Sinneseindrücke reagieren und miteinander kommunizieren – wie wir. Eine Akazienart in Afrika reagiert auf gefräßige Kudus (eine Antilope), indem sie den Tanningehalt in ihren Blättern vervierfacht und damit die Kudus vergiftet. Gleichzeitig setzt sie Duftwolken ab, die die in der Nähe stehenden Akazien über die drohende Gefahr informieren, sodass die Bäume in der Umgebung ebenfalls ihren Tanningehalt steigern und zur tödlichen Gefahr für die Kudus werden. Maispflanzen kommunizieren sogar mit anderen Spezies.

Weitere Kostenlose Bücher