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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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hungrig. Über einen Link von Wikipedia bin ich auf eine Frutarier-Homepage gestoßen. Wie schon die Veganer, wie auch bereits die Vegetarier und wie auch die Bio-Zeitung »Schrot und Korn« behaupten die Frutarier, dass es großen Spaß machen würde, nach ihrer Ernährungsform zu leben. Sie schwärmen, wie hübsch die runden Früchte sind und wie toll sie schmecken und wie wahnsinnig schlank und gut aussehend man durch diese Ernährungsform wird. Nie sagt mal jemand: Diese Ernährungsform bedeutet Verzicht und Zumutung, aber ich bringe das Opfer, weil es meiner Überzeugung entspricht. Die Frutarier-Homepage tut so, als wäre es ein Privileg, ausschließlich Früchte zu essen. Ich beiße in einen Apfel. Mann, macht das Spaß!
    Immerhin schlafe ich gut. Abends falle ich bereits um neun ins Bett und schlafe wie ein Stein bis zum nächsten Morgen. Beim Einkauf habe ich in der ersten Woche zwei Fehler gemacht. Gurken werden doch wohl erlaubt sein, habe ich gedacht, schließlich sind Gurken Gemüse-Früchte. Und Senfkörner sind als Samen ebenfalls erlaubt. Also kaufe ich mir ein schönes Glas Gewürzgurken. Falsch! Erstens ist Zucker mit drin (ermordete Zuckerrüben), zweitens auch noch ein paar durchsichtige Zwiebelscheiben (ermordete Zwiebeln). Der zweite Fehler war eine Tüte gesalzener Cashewkerne. Auf der Tüte stand, dass die Cashews in Pflanzenöl geröstet waren. Ich ging davon aus, dass das Öl von einer Frucht, einem Samen oder einer Nuss stammte. Wo sonst steckt so viel Öl in einer Pflanze, dass man es herauspressen könnte? Erst später fiel mir ein, dass die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß ist, dass es sich um Maiskeimöl handeln könnte. Und Mais ist als Monokultur ja verboten. Also keine Salznüsse mehr. Auch in Konserven steckt oft Rübenzucker. Am sichersten ist es, frisches oder tiefgefrorenes Obst und Gemüse zu kaufen. Fertiggerichte haben sich sowieso erledigt.
    »Und was ist mit einjährigen Pflanzen?«, fragt mein Verleger am Telefon. »Darfst du die auch nicht essen?«
    »Natürlich nicht«, sage ich. »Oder möchtest du, dass man dir mit 70 Jahren einen über die Rübe zieht mit der Begründung, dass du es ja sowieso nicht mehr lange machst?«
    Moralisch bin ich jetzt kaum noch zu toppen. Ich vernichte kein Leben mehr. Ich bin die Super-Grille.
    »Dann darfst du wohl auch keine Baumwolle tragen.«
    »Doch, darf ich. Baumwolle wird aus den Samenfäden der Baumwollpflanze gemacht und kann abgepflückt werden, ohne die Pflanze zu zerstören.«
    »Ich schick dir mal ein Buch über die Zustände auf den Baumwollfeldern in Usbekistan.«
    Bei einer so streng moralischen Lebensführung wie der eines Frutariers reizt es ethisch tiefer agierende Subjekte nun einmal, ein Haar in der Früchtesuppe zu finden.
    Obwohl ein ziemlich großer Konsens darüber besteht, dass es nicht richtig ist, den Regenwald großflächig abzufackeln oder absichtlich Blumen zu zertrampeln, und 100-jährige Bäume als schützenswerte Naturdenkmäler geachtet werden, würden die meisten Menschen die Frage nach unserer moralischen Verpflichtung gegenüber Pflanzen als unsinnig ablehnen. Beim Schutz des Regenwaldes und einzelner Bäume geht es bloß darum, unsere Lebensgrundlage und den Erlebnisraum, die dekorative Kulisse, zu erhalten. Das Wohlergehen der Bäume selber ist uns herzlich egal. Mit Pflanzen darf alles gemacht werden – so die ziemlich einhellige Meinung überall auf der Welt. Überall auf der Welt? Nein, eine kleine Bastion der Pflanzenrechte gibt es. In der Schweiz. Die Schweiz ist das einzige mir bekannte Land, das in seiner Bundesverfassung die Würde aller Kreaturen, also auch der Pflanzen, berücksichtigt wissen will. Ja, spinnen die, die Schweizer? Oder haben sie dabei vielleicht doch bloß den Schutz der Pflanze vor gentechnischen Veränderungen und damit eigentlich den Schutz des Menschen im Kopf? Letztlich finden doch selbst die strengsten Veganer nichts dabei, Spinat oder Möhren zu essen, weil sie davon ausgehen, dass eine Pflanze weder Schmerzen empfinden noch psychisch leiden kann und folglich in einem moralisch relevanten Sinn auch nicht geschädigt wird.
    Die Vorstellung, Pflanzen seien Bio-Maschinen, die nichts merken und stur ihrem genetischen Programm folgen, wurde aber bereits 1966 erschüttert, als Cleve Backster die Elektroden eines Lügendetektors an den Blättern seiner Büropflanze befestigte. Backster war ein Spezialist für die Analyse solcher Detektoren und arbeitete mit dem FBI und der

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