Antarktis 2020
sehen. Haltet euch nur fern, dachte er grimmig. Unsinn, Tom, los, hoch! Er taumelte auf, lief schräg über die Dammkrone, blieb dann auf dem dem Kanal abgewandten Rand, und es ging. Wieder stellte sich der Rhythmus ein: – E – ve – lyn – ich – schaf – fe – es…
Aber jeder Schritt dröhnte bis zum Kopf, und es war, als erschüttere er das Gehirn. Thomas hatte das Zeitgefühl verloren. Irgendwann ließ er sich die kleine Böschung zur Wüste hinuntertreiben, er stürzte, kam wieder hoch und stolperte weiter am Fuße des Damms. Unter seinen Füßen war wieder Sand mit einigen Grasbüscheln.
Und dann war vorn etwas, eine Unregelmäßigkeit im Winkel zwischen Ebene und Deichböschung, und etwas bewegte sich dort. Ivo!
Thomas lief schneller, der Atem rasselte. Dann stürzte er über ein Rohr der Berieselungsanlage und kam nicht mehr hoch. Der Rhythmus war weg. Ihm knickten einfach die Beine ein. Thomas biß die Zähne zusammen. Es knirschte dazwischen. Er kam hoch, stürzte abermals. Dann kroch er. Der Punkt vorn tanzte, mischte sich in den Kreis von Feuerrädern vor seinen Augen. Er wußte nicht, wie weit er schon gekrochen war. Dann lag da ein Hindernis, ein Brokken. Dahinter ein langer Schatten, Kühle. Er schob Kopf und Oberkörper dorthin. Das Gesicht lag im Sand. Thomas fühlte die Kühle des Steins an der Nase.
Er spürte noch, daß die Erde unter ihm gleichsam hochsprang, wie der Fels an seiner Nase kratzte. Um ihn her war auf einmal Bewegung. Es rieselte auf ihn, er spürte Schläge. Dann nahm es ihm den Atem. Ein stechender Schmerz im Bein, sein Körper wurde schwerer, und dann war es Nacht.
Irgendwo ging eine Tür. Schritte kamen näher. Es war unwirklich, entfernt, wie in Watte. Dann war da Gemurmel, wie eine Begrüßung. Eine angenehme Frauenstimme, ein Mann.
Eine Zeitlang entschwebte das alles, dann wurde es wieder deutlicher. Thomas fühlte, daß er langsam Kontakt zur Umgebung gewann. Beim Schlucken stach es in der Kehle, wie damals in TITANGORA.
Da waren die Stimmen wieder. Thomas hielt die Augen geschlossen. Er lag in einem weichen Bett, fühlte sich verhältnismäßig wohl – bis auf das Stechen im Hals und eine pochende Schwere im Bein.
Die Frau, deren Stimme ihm bekannt vorkam, sagte: »…zwei Dämme. Die Bombe hat die Sohle auseinandergerissen. Die Druckwelle nahm dem anstürmenden Wasser die Kraft. Der erste Damm hielt zehn Stunden. In dieser Zeit haben wir den zweiten so verfestigt, daß er nun sicher ist. Seit drei Uhr heute morgen läuft der volle Baubetrieb am Hebewerk.«
»Ein Teufelskerl, der Monig«, sagte der Mann. »Eckig zwar, aber…«
»Ich glaube, wir haben ihn hier falsch beurteilt«, sagte die Frau. Jetzt wußte es Thomas: Es war Kollegin Knatel!
»Wahrscheinlich haben auch andere Fehler gemacht«, bemerkte der Mann.
Thomas wurde der Disput peinlich. Ich werde wohl offiziell aufwachen müssen, dachte er. Er rollte sich auf die Seite und stöhnte unwillkürlich auf. Ihm tat auf einmal alles weh.
Er öffnete die Augen. Neben seinem Lager standen Mattau und die Kollegin Knatel.
Thomas’ erster Eindruck war, er läge in einem Blumenmagazin. So eine Verschwendung, dachte er glücklich, so üppig wächst es hier ja doch noch nicht.
Mattau beglückwünschte Thomas herzlich zu seiner Tat, die Kollegin Knatel schien ein wenig verlegen, so als hätte sie etwas gutzumachen.
Dabei trage ich ihr gar nichts nach, dachte Thomas.
Mattau bedauerte, daß sich Thomas das Wadenbein gebrochen und verschiedene Blutergüsse zugezogen hatte.
Thomas fiel das Sprechen wegen des rauhen Halses schwer. Er brummelte in Fortsetzung von Mattaus Worten: »…und einen weiteren Tadel…« Er und seine Besucher schmunzelten. Dann fragte er: »Hat es wenigstens etwas genutzt?« Er glaubte es aus den mitgehörten Gesprächsstücken bereits zu wissen, aber er wollte die Bestätigung.
»Seit heute morgen drei Uhr laufen vorn die Arbeiten wieder«, sagte die Kollegin Knatel mit Stolz in der Stimme. »Und – ist noch jemand zu Schaden gekommen? Ivo?«
»Nicht der Rede wert. Die Welle hat ein Passagierluftschiff zu Boden gedrückt und beschädigt – sie wollten dich wohl aufnehmen, offenbar ein wenig unüberlegt, aber ohne Personenschaden.«
»Stehen die paar Palmen von Achourat noch?« fragte Thomas. Kollegin Knatel schien ratlos. »Ich weiß es nicht«, sagte sie dann.
Plötzlich kam die volle Erinnerung zurück. Thomas richtete sich ungeachtet der Schmerzen auf. Irgendwo hämmerte
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