Anthrax
»Ich denke darüber nach. Aber ich verspreche nichts.«
Jacks Telefon klingelte. Er nahm den Hörer ab und meldete sich. Als ihm bewußt wurde, daß seine Stimme beinahe wütend klang, schlug er schnell einen umgänglicheren Ton an. Am anderen Ende meldete sich Marlene Wilson, die Rezeptionistin.
»Ich hoffe, ich störe Sie nicht, Dr. Stapleton«, begann sie. Sie sprach mit einem leichten Südstaatendialekt. »Ganz und gar nicht«, versicherte Jack ihr. »Was gibt’s?«
»Hier sind zwei Herren, die Sie sprechen möchten«, erklärte sie. »Erwarten Sie Besuch?«
»Nein, nicht daß ich wüßte«, erwiderte Jack. »Wie heißen die beiden denn?«
»Einen Augenblick«, bat Marlene.
»Ich muß los«, sagte Lou und stand auf. »Sonst läuft mir gleich noch Laurie über den Weg.«
»Wir hören voneinander«, rief Jack ihm nach und winkte. »Da ist ja noch zu entscheiden, wie wir mit deinem heiklen Spionagematerial verfahren.« Lou nickte und verschwand.
Marlene kam wieder an den Apparat. »Es handelt sich um einen Mr. Warren Wilson und einen Mr. Flash Thomas. Was soll ich den beiden ausrichten?«
»Das gibt’s doch gar nicht!« Jack fiel aus allen Wolken. »Sagen Sie ihnen, sie sollen raufkommen!« Verdutzt legte er den Hörer auf. Er konnte es kaum fassen, daß Warren ihn im Institut besuchte. Ein paarmal hatte er ihm vorgeschlagen vorbeizukommen; denn vielleicht fand Warren es interessant, aus erster Hand zu sehen, womit er, Jack, seinen Lebensunterhalt verdiente. Außerdem hatte er ihn durch eine Institutsbesichtigung indirekt ermutigen wollen, noch einmal die Schulbank zu drücken. Doch Warren hatte geschworen, daß er eine Leichenhalle nur auf einem Wege kennenlernen würde, und zwar als toter Mann. Jack nahm den zweiten Besucherstuhl, der neben Chets Schreibtisch stand, und stellte ihn neben den anderen. Dann trat er hinaus auf den Flur und ging zum Fahrstuhl. Kaum war er dort angekommen, ging die Tür auf, und seine beiden Basketballkumpels stiegen aus.
»Was für ein finsterer Ort!« stellte Warren zur Begrüßung fest und machte ein angeekeltes Gesicht. Dann grinste er und hob die Hand. »Wie steht’s, Kumpel?« Jack klatschte seine Hand gegen die von Warren. So begrüßten sie sich auch auf dem Basketballplatz. Flash begrüßte er mit der gleichen Geste. Dieser wirkte in der fremden Umgebung deutlich eingeschüchterter als Warren. »Bei mir ist alles beim alten«, entgegnete Jack. »Abgesehen von eurem Besuch. Ich bin ziemlich überrascht, euch hier zu sehen. Aber kommt erst mal mit in mein Büro.« Jack führte die beiden über den Korridor. »Es riecht hier so komisch.« Flash schnupperte. »Wie im Krankenhaus«, fügte Warren hinzu. »In so einem Krankenhaus möchte ich lieber nicht landen«, flachste Flash und lachte nervös.
»Du hast mir doch mal erzählt, daß du deine Autopsien in einem Saal durchführst, den ihr Grube nennt«, sagte Warren an Jack gewandt. »Mich erinnert hier alles an eine Gruft und Grube.«
»Eine kleine Renovierung täte in der Tat mal not«, stimmte Jack ihm zu und führte die beiden in seinen Arbeitsraum. Sie nahmen Platz.
Jack grinste. »Habt ihr den weiten Weg extra auf euch genommen, um sicherzustellen, daß ich heute abend spiele?«
»Gestern hättest du dabeisein sollen«, prahlte Warren. »Da wärst du in unserem Team gewesen. Wir haben nicht ein einziges Mal verloren!«
»Ich versuche mein Glück heute abend«, versicherte Jack. Warren sah Flash an. »Willst du ihn fragen, oder soll ich es tun?«
»Frag du ihn!« bat Flash und wippte mit dem Stuhl. Er war sichtlich aufgewühlt.
»Flash hat heute morgen eine schlimme Nachricht bekommen«, wandte sich Warren an Jack. »Seine Schwester ist gestorben.«
»Oje«, entgegnete Jack. »Das tut mir leid.« Er sah Flash an, doch der wich seinem Blick aus.
»Sie war noch nicht besonders alt«, fügte Warren hinzu. »Jünger als du. Und ist ganz plötzlich gestorben. Flash glaubt, daß irgendwas Finsteres vorgefallen ist. Sie hat sich nämlich nicht sonderlich gut mit ihrem Alten vertragen. Du verstehst doch sicher, was ich meine, nicht wahr?«
»Du meinst, es gab Gewalttätigkeiten in der Familie?« fragte Jack.
»Wenn du das so nennen willst«, entgegnete Warren. »Jedenfalls hat er ihr ab und zu eine runtergehauen.«
»So wird es meistens beschönigt«, stellte Jack klar. »Er war extrem gewalttätig!« warf Flash wütend ein. »Bleib cool!« riet Warren seinem Freund und klopfte ihm zur Beruhigung auf die
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