Anthrax
auf.
Laurie legte die Dessertkarte beiseite und schüttelte den Kopf. »Ich platze. Ich glaube, ich muß auf den Nachtisch verzichten.«
»Wollen wir uns vielleicht ein Dessert teilen?« schlug Peter vor. »Ich weiß doch, wie du auf Schokolade stehst.«
»Von mir aus gern«, entgegnete Laurie. »Aber du mußt neun Zehntel essen. Ich trinke einen koffeinfreien Cappuccino.«
»Wird sofort geordert!« Paul hob die Hand, um den Kellner auf sich aufmerksam zu machen.
Der Abend war nett gewesen, und Laurie fühlte sich erheblich besser als nach dem Gespräch mit Jack und Lou. Als sie nach Hause gekommen war, war sie drauf und dran gewesen, den seit einer Woche mit Paul geplanten Ballettbesuch im Lincoln Center und das darauffolgende Dinner abzublasen. Doch nachdem sie eine Weile in Ruhe nachgedacht hatte, war sie zu dem Schluß gekommen, daß die Informationen, die Jack und Lou ihr gesteckt hatten, nicht unbedingt eine wütende Auseinandersetzung nach sich ziehen mußten. Sie war ja nicht einmal hundertprozentig sicher, ob sie überhaupt der Wahrheit entsprachen, und selbst wenn, wollte sie nur zu gern von Paul eine Erklärung hören. Daß ihre beiden alten Freunde sie wie aus heiterem Himmel mit den schlechten Nachrichten überfallen hatten, hatte ihr am meisten die Laune verdorben.
»Hast du Appetit auf einen Dessertwein?« fragte Paul. Laurie lächelte und schüttelte den Kopf. Sie hatten einen hervorragenden Rotwein zum Essen getrunken, und der Nachgeschmack lag ihr noch angenehm auf der Zunge. Außerdem wußte sie, daß sie genug Alkohol zu sich genommen hatte.
Paul hatte ihr am Abend einen weiteren Blumenstrauß überreicht und sich für sein unsensibles Verhalten am Morgen entschuldigt. Er hatte ihr versichert, daß er vollstes Verständnis für ihre Berufsauffassung habe, und sogar eingestanden, daß er ihr enormes Engagement aufrichtig bewundere.
Im Laufe der Unterhaltung und im Zusammenhang mit der Diskussion über ihr Engagement in der Gerichtsmedizin war Laurie drauf und dran gewesen, Paul noch einmal zu fragen, womit er denn nun eigentlich sein Geld verdiene, doch dann hatte sie lieber davon abgesehen. Seine Entschuldigung hatte so aufrichtig geklungen, daß sie nicht undankbar oder unsensibel sein mochte. Sie wollte lieber einen geeigneteren Augenblick abwarten.
Und dann hatte Paul ihr noch eine weitere Überraschung beschert. In der Hoffnung, daß ihr Arbeitsplan es erlauben würde, hatte er ihr stolz mitgeteilt, es sei ihm gelungen, den Trip nach Budapest auf das folgende Wochenende zu verschieben. Er hatte sogar hinzugefügt, daß sie die ganze Woche Bedenkzeit habe.
Der Kellner brachte das Dessert. Es war ein wahres Kunstwerk aus Schokolade. In der Mitte des Tellers befand sich ein dunkles ohne Mehl gebackenes Stück Kuchen, dem Laurie nicht widerstehen konnte. Sie kostete und leckte sich genüßlich die Lippen.
Paul hatte sich einen Brandy bestellt. Als er gebracht wurde, schwenkte er den guten Tropfen, beschnupperte ihn und nahm einen Schluck. Dann lehnte er sich zurück und lächelte. Er fühlte sich rundum wohl.
»Ich möchte dich etwas fragen, Paul«, begann Laurie. Sie hatte das Gefühl, daß es keinen günstigeren Zeitpunkt geben konnte, ihn auf seine Arbeit anzusprechen. »Ich weiß, daß meine Frage heute morgen ein bißchen provokativ geklungen hat. Das habe ich bestimmt nicht gewollt und will es auch jetzt nicht – aber ich wüßte wirklich gerne, was du so geschäftlich treibst.«
Ihr Begleiter hörte auf, seinen Brandy zu schwenken, und sah Laurie mit seinen pechschwarzen Augen an. »Warum willst du das wissen?« fragte er ruhig.
»Als deine zukünftige Frau sollte mich das doch wohl interessieren«, bemerkte Laurie überrascht. Daß er mit einer Frage antworten würde, hatte sie nicht erwartet. »Wenn du nicht wüßtest, was ich beruflich mache, würde ich es dir mit Sicherheit gerne erzählen.«
»Heute morgen wollte ich auf deine Frage hin von dir wissen, ob es eine Rolle für dich spielt, womit ich mein Geld verdiene«, entgegnete Paul. »Spielt es eine Rolle?«
»Könnte schon sein«, gestand Laurie. »Nehmen wir doch meinen Job als Beispiel. Meine Mutter hat eine völlig falsche Vorstellung von meinem Beruf. Sie findet es makaber, was ich mache. Stell dir vor, du würdest genauso denken!«
»So denke ich auf keinen Fall.«
»Das freut mich«, stellte Laurie fest. »Aber jetzt verstehst du, was ich meine. Ich glaube kaum, daß meine Mutter meinen Vater geheiratet
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