Anthropofiction
gerecht.« Ihre Stimme war träge und monoton. »Es ist nicht gerecht. Warum sollen sie leiden, weil ich nicht stark genug war? Ist es recht, daß ihre Freiheit von meiner Klugheit abhängen muß? Wo ist darin Gerechtigkeit? Eine Tür mehr, und ich hätte sie befreien können. Ein Foto in der Zeitung! John hat es versprochen! Die Gefangenen wären jetzt frei. Die Öffentlichkeit würde es erzwingen; sie würden diese Form der Sklaverei nicht dulden. Vielleicht schlimmer als Sklaverei, vielleicht Vivisektion!«
Lloyd lauschte mit einem Erstaunen, das sich zum Schrecken steigerte, während das Mädchen weiterflüsterte. Die Gefangenen, die Gefangenen ! Die Worte trafen ihn mit einer neuen Bedeutung. Fergusons Argwohn fiel ihm wieder ein: »Zu welchem Zweck, kann ich mir nicht vorstellen; politische Erpressung vielleicht. Oder eventuell glaubt sie, eine Zeitung würde sie für eine Exklusivmeldung bezahlen.« Das Mädchen wollte einfach den Gefangenen helfen! Das krasse Mißverhältnis überkam Lloyd, und er lachte laut auf. Merriel zuckte zusammen. Langsam kamen ihr die Tränen.
Lloyd berührte ihre Wange. »Ich lache nicht über dich«, sagte er sonderbar rauh. »Ein bißchen über mich selbst.«
Ihre Bitte äußerte sich in einem Wortschwall. »O Loyd, bitte hilf ihnen! Nichts was du herausfinden, nichts, was du lernen kannst, ist eine solche Folter wert! Sie zu versklaven. Mit ihnen zu experimentieren. Wie kannst du Menschen das antun? Wie kannst du das tun? Ich dachte, du seist so anders. So nett. Ich dachte …«
Merriel brach ab. Lloyd entdeckte, daß er ihr Haar streichelte, und versuchte sie zu beruhigen. Er wußte nichts zu sagen.
»Du mußt ihnen helfen, es gibt sonst niemanden mehr. Ich habe versagt.« Der dunkle Schrecken von Ausgang D überkam sie. Es war nicht die unter Strom stehende Tür, an die sie sich erinnerte, sondern die Minuten, die sie unter dem Strahl verbracht hatte. »Es war wie ein langer Alptraum, ich lag da, wagte nicht zu atmen und mußte versuchen, den Generator anzubringen. Es war, als ob die Zeit still stünde, als sei ich da auf ewig!« Schluchzer schüttelten sie. »Bitte hilf ihnen.«
Lloyd stand über ihr und flüsterte eindringlich. »Es ist in Ordnung. Es ist in Ordnung, Merriel. Du mußt dir keine Sorgen um sie machen; ich werde mich um alles kümmern! Verstehst du? Verstehst du, daß alles in Ordnung kommen wird?«
Das Madchen hörte auf zu weinen. Lloyd hielt ihre Arme fest, halb scherzend, halb liebkosend. Schließlich lächelte sie. »Schlaf jetzt und werde gesund und stark!« Es war noch erheblich mehr, was Lloyd sagen wollte. Irgendwie erriet es Merriel und war getröstet. Sie schloß die Augen. Nach einer Weile ging er.
An der Tür traf er den Arzt, der das Ende seines Besuchs erwartet hatte. »Wie bald wird sie diese Folgen überwunden haben?« fragte er.
»Praktisch sofort. Morgen können Sie ihre Befragung fortsetzen.«
In Lloyd stieg der ganze elende Vormittag wieder hoch. »Halten Sie mich für ihren Inquisitor? Danach habe ich nicht gefragt! Wie bald wird sie völlig gesund sein?«
»Gebrochene Knochen brauchen Zeit, um zusammenzuwachsen. Miss Stevenson hat auch noch andere innere Verletzungen erlitten. Keine davon ist sehr ernst, aber es wird einige Wochen dauern, bis sie entlassen werden kann.«
Diese Antwort, die den Tatsachen entsprach, brächte Lloyd zur Erde zurück. Er nickte und ging.
Zurück im DEI vergrub er sich in seinem Büro und nahm keinerlei Anrufe an. Eine schöne Bescherung! Die Gefangenen! Warum hatte man ihnen nicht einen weniger naheliegenden Decknamen gegeben? Und jetzt lag Merriel unter der Marter physischer und psychischer Qualen, und er sah keinen Weg, sie vor einer Anklage wegen Spionage zu bewahren. Gewöhnlich konnte ein Abteilungschef der DEI bei sich selbst als Richter fungieren, aber ein Verbrechen gegen das Department war nicht gewöhnlich. In einer unerhörten Art und Weise hatte er seine Macht in die Waagschale geworfen, um den Fall der Abwehr zu entziehen. Wahrscheinlich hatten sie den idiotischen Eindruck, er sei unsterblich in das Mädchen verliebt. Er hatte die schwachsinnige Abwehrroutine einfach satt und war deprimiert über die Unschuldstragödie seiner Sekretärin. Eines jedenfalls konnte er tun! Seine Gedanken konzentrierten sich: »Ein Foto in der Zeitung«, hatte Merriel gesagt. »John hat es versprochen!« Es gab einen Komplizen bei der Sache, jemand, der dem unglücklichen Mädchen erlaubt hatte, für das
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