Anthropofiction
schwerlich Ihre Verantwortung als Mitschuldiger bei der Spionage verringert. Auch bin ich, Mr. Lyons, mit diesem Ihrem Skandalblättchen hinreichend bekannt, um Sie von irgendwelchen altruistischen Motiven in diesem Fall freizusprechen. Das bezeugen die Opfer Ihrer vielen Verleumdungskampagnen. Nein. Sie waren auf eine Sensation aus, und diesmal sollte das Department für Extraterrestriale Integration das Opfer sein.«
»Sie sind nicht der Richter meiner Moral! Wenn Sie Motive beurteilen wollen, sollten Sie sich besser mit dieser widerlichen Stevenson befassen!«
Etwas Boshaftes regte sich in Lloyd. »Aber wie Sie sehen, bin ich Richter Ihrer Moral. In der Tat, genau das bin ich! Zweifellos ist das, was Sie getan haben, ein Grund zur Inhaftierung; vielleicht sogar zu noch strengeren Maßnahmen.« Er ließ die Worte einwirken. »Aber hier beim DEI haben wir eine ziemlich ungewöhnliche Auffassung von Gerechtigkeit. Auf unsere Art versuchen wir, die Strafe dem Verbrechen anzupassen, und wir haben mehr Möglichkeiten, es erfolgreich zu tun, als die meisten Justizbehörden. Schon lange, bevor Sie das offenkundige Verbrechen der Spionage begingen, haben Sie deutlich gemacht, daß Sie in unserer Gesellschaft zwar lebten, aber nicht wirklich zu ihr gehörten. Unter dem Deckmantel des Messenger haben Sie willentlich gelogen, verleumdet und zerstört. Sie haben Ihr Vergnügen an der Erniedrigung Ihrer Opfer gehabt. Sie haben unendlichen Kummer verursacht, weil unsere Kultur Ihre Art nicht erwartet und nicht darauf eingestellt ist, sich gegen Sie zu verteidigen. Aber es gibt einige wenige Gesellschaften in der Galaxis, die ganz gut mit Ihnen umgehen können. Tatsächlich kann ich mich an eine entsinnen, wo fast jedes Individuum ein verantwortungsloser John Manning Lyons ist, glücklicherweise ohne einen Messenger .
Sie sehen also, daß Ihre Moral äußerst wichtig für mich ist, weil ich eine Kultur auswählen muß, wo sie ohne Schaden agieren kann. Und dahin werden Sie gehen; auf einen Planeten, wo jeder die Hand gegen Sie erheben wird, so wie Sie es gegen jeden getan haben. Dort wird keine Chance bestehen, Schwache und Arglose zu verletzen: jeder ist streitsüchtig und argwöhnisch.«
Zwei Wachen traten ein, um Lyons abzuführen. An der Tür drehte er sich um und wiederholte in krankhaftem Stumpfsinn: »Wegen einer Verleumdung durch dieses Mädchen muß ich das alles erleiden!«
Lloyd machte eine Bewegung, um die Wachen aufzuhalten. »Ich will Sie nicht mit einem Mißverständnis entlassen. Sie bezahlen nicht für Miss Stevensons Sünden, sondern für Ihre eigenen. Sie hat Sie nicht verraten. Umgekehrt. Sie haben sie veranlaßt, zu versuchen, ein Foto von den Gefangenen für Ihr Blättchen zu bekommen. Die Folge ist, daß sie im Krankenhaus liegt, und es ist bloßer Zufall, daß sie wieder genesen wird. Jene Unterhaltung über Visiphon haben Sie mit einer durch das Entgegenkommen unserer Abwehrabteilung sorgfältig konstruierten Erscheinung geführt.«
Lyons blickte überrascht auf. Irgendwie war das am schwersten von allem zu ertragen. Der plötzliche Ent zug einer Person, die er beschuldigen und hassen konn te, ließ ihn leer und haltlos zurück. Die Wachen führten ihn ab.
Die Interpretations-Abteilung war ihrer Natur nach nicht so stark zu Handlungen und Entscheidungen gedrängt wie die meisten anderen Abteilungen des DEI, aber als die Tage vergingen und die Arbeit auf Bests Schreibtisch sich häufte, begann sein Versagen Schaden anzurichten. Lloyd war ein, ungewöhnlicher Beamter. Seine natürliche Trägheit in Verbindung mit seiner Abneigung gegen unwichtige Details bewahrte ihn vor endlosen Konferenzen, Koordinationen und Demonstrationen, die den meisten Managern so lieb und teuer sind. Teilweise war diese Arbeit notwendig, und die Effektivität seiner Abteilung wurde durch die se Nachlässigkeit in gewisser Weise beeinträchtigt. Es gab aber auch einen klaren Vorteil, da der Mangel erzwungener Koordination die Notwendigkeit engerer Zusammenarbeit auf einer Arbeitsstufe zwischen den Leuten in der Interpretation bedingte, und naturgemäß paßte sich die Abteilung in dieser Richtung an. Lloyd Bests Beitrag war von ganz anderer Art: er bestand in seiner Fähigkeit, Tatsachen so in Verbindung zu bringen, daß sie relevant wurden und oft in einem einzigen Intuitionsakt zu Lösungen führten. Diese Gabe in Verbindung mit höchster fachlicher Brillanz auf dem Gebiet der zeitgenössischen Anthropologie hatte ihm den
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