Anthropofiction
Foto seinen Kopf zu riskieren, und der gleichfalls der Spionage schuldig war. Es fiel ihm nicht schwer, zu erraten, wer dieser John war. Er schaltete das Haustelefon ein und verlangte Ferguson.
»Hier Ferguson.« Die Stimme war eisig.
»Jod, ich schicke eine Bandaufnahme von Miss Stevenson runter, einfach irgendein Bürodiktat. Ich bin sicher, daß einer eurer Agenten in kürzester Zeit die Stimmodulation schlucken kann. Hast du Material für ein visuelles Bild?«
»Natürlich.«
»Ich möchte, daß sie das Verlagsbüro des Messenger anruft und John verlangt. Das ist John Lyons, der Besitzer. Wenn er mit ihr spricht, soll sie sagen, daß sie das Foto von den Gefangenen hat und ihn treffen möchte. Den Ort kannst du bestimmen. Wenn er die Einladung annimmt, soll er in mein Büro entführt werden. Kannst du das?«
»Sicher.« Pause. »Darf ich etwas mehr erfahren?«
»Tut mir leid, Joel, im Augenblick nicht.« Lloyd zögerte. »Joel, es tut mir auch leid wegen des Theaters gestern abend. Die Nachricht hat mich in Erregung versetzt.«
»Sie hat uns alle erregt.« Ferguson war kalt. »Das ist dann also alles.«
John Manning Lyons sah Merriel Stevensons Bild auf dem Schirm des Visiphons verblassen. Eine ganze Frau, dachte er. Er lächelte, als das fortgesetzte Dröhnen ihm wieder zum Bewußtsein kam, der Geburtsschrei des Messenger , ein Geräusch, das ihm so lieblich klang, daß er es abgelehnt hatte, sein Büro dagegen zu isolieren. Für ihn bedeutete dieses Geräusch Macht, Sicherheit und ununterbrochene Gelegenheit zur Selbstbewunderung. Der Messenger war eine Zeitung von besonderer Art, mit einer Zielsetzung, die den meisten seiner Leser nicht auffiel. Er publizierte Skan dale besonderer, intimer Art. Er prangerte Sündenböc ke an, deren Fehler nach den unbewußten Kriterien der eigentümlichen Psychologie seines Besitzers und Herausgebers beurteilt wurden. Er machte Sensation. Aber sein wahrer Charakter war nur wenigen von Lyons Vertrauten und Opfern bekannt, die ihn als ungeheure Manifestation seines Ichs zu würdigen wußten, als Werkzeug, mit dem John Manning Lyons die Welt nach seinem Willen bearbeitete.
Das Schlimme war, daß Lyons keine klaren Pläne für die Welt hatte. Er hatte nur Anfalle von Begeisterung, die zu gewaltsamen, provisorischen Kampagnen führten, welche – gewöhnlich von menschlichem Ruin begleitet – abflauten, sobald sein Ziel erreicht war. Dieses Ziel war simpel und infantil. »Seht mich an!« schrie er, daß es einem in den Ohren weh tat. Wenn die Welt aufschaute, war er zufrieden. Ein dumpfes Schuldgefühl ließ ihn Beifall ersehnen. Das konnte der Messenger ihm nicht geben, aber zumindest garantierte er Aufmerksamkeit, die er als Ersatzbefriedigung akzeptierte. Wie viele unbefriedigte Menschen war er von einer großen Anzahl gewissenhafter Vertrauter umgeben, die er periodisch abstieß. Seine Macht und Berühmtheit machten es ihm leicht, solche Menschen zu treffen, und sein Mangel an Entschlußkraft fand in ihrer Aufrichtigkeit etwas Vitales und Notwendiges, das ihn wie einen Parasiten anzog. Eigenartigerweise konnte er daher ausgezeichnet Charakter und Integrität beurteilen, und diese Eigenschaft war es, die ihn an Merriel Stevenson fesselte. Merriel hatte sich in sein Büro begeben, um die Geschichte ihres Verdachts hinsichtlich der Gefangenen in ihrer typisch einfachen Art zu erzählen. Sie hatte ihren DEI-Ausweis gezeigt und über Amtsangelegenheiten gesprochen. Die Geschichte mit den Gefangenen interessierte ihn; das war genauso ein Ding, das der Messenger hochgehen lassen konnte. Aber das aufrichtige, lebhafte Mädchen interessierte ihn noch mehr, und um ihre Zuneigung zu gewinnen, hatte er das unleugbare Risikoelement in einer Sache, die schließlich ein Spionagefall war, außer acht gelassen.
Dennoch konnte er die Geschichte nicht ohne Beleg drucken lassen. Das bedeutete ein Foto. Merriel war bereit es zu versuchen, wenn er ihr mit einigen Apparaten behilflich war, die in der Maschinen-Werkstatt des Messenger hergestellt werden konnten. Sie brauchte einen Ultraviolett-Detektor und einen Spaltstrahlengenerator. Das würde genügen, schloß sie aus Hinweisen, die sie in Bests Büro aufgeschnappt hatte, und aus ihrer früheren Erfahrung in der Marktforschung, der Pionierabteilung des DEI. Lyons wurde sich vollends bewußt, daß die Lieferung des Werkzeugs ihn mitschuldig machen würde und versuchte Zeit zu gewinnen, indem er inzwischen bei einer Reihe von
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